Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
unregelmäßigen Abständen für kleine, schwankende Lichtlachen. Die Betonstufen waren rissig und angeschlagen und ekelhaft schmutzig. An mehreren Stellen hatten sich ganze Abschnitte des rostigen Eisengeländers von den Halterungen an der Treppe gelöst.
In der stickigen Luft hingen unangenehme Gerüche – die tränentreibenden Dünste billiger Desinfektionsmittel, Kohlgeruchschwaden aus den Küchen und der Gestank nach Urin und vollen Windeln, der aus den dunkleren Ecken drang, in denen sich vergessene Müllsäcke häuften. Und über all dem hing der säuerliche Mief, der entsteht, wenn viel zu viele Menschen gezwungen sind, Wange an Wange zu hausen, ohne ausreichend warmes Wasser für die Körperpflege zu haben.
Die winzige Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie suchten, lag im vierten Stock, an der hinteren Seite des Gebäudes. Sie gingen an einer Reihe von Türen vorbei, von denen eine so schmierig und ramponiert
war wie die andere. Smith und Fiona waren gekommen, um die Eltern von Michail Woronow zu besuchen, des siebenjährigen Jungen, der sich als Erster die schreckliche Krankheit zugezogen hatte, deren Spuren sie zurückverfolgten.
Auf den ersten Blick fiel es Jon schwer zu glauben, dass die stille, zurückhaltende Frau, die auf ihr Klopfen die Tür öffnete, die Mutter des Jungen sein sollte. Sie schien viel zu alt zu sein, eher eine Großmutter als die zu erwartende vergleichsweise junge Frau. Ihr Haar war grau und das wohl von Natur aus schmale Gesicht furchtbar hager und tief zerfurcht. Doch dann sah er die geschwollenen, rotgeweinten Augen, in denen unendlicher Kummer lag. Es waren die Augen einer Frau, die immer arm gewesen war, der man nun aber ihren einen echten Schatz geraubt hatte – ihr einziges Kind. Selbst nach zwei Monaten war sie noch ganz in Schwarz gekleidet und trauerte sichtlich.
»Ja?«, fragte sie, offenbar überrascht, zwei gut gekleidete Ausländer auf ihrer Schwelle stehen zu sehen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Wir möchten Ihnen unser tiefempfundenes Mitgefühl für Ihren tragischen Verlust aussprechen, Frau Woronowa. Es tut uns aufrichtig leid, Sie in einer so schwierigen Zeit belästigen zu müssen«, sagte Smith leise. »Wenn es nicht unbedingt nötig wäre, würden wir im Traum nicht daran denken, Sie auf diese Weise zu überfallen.«
Er zückte seinen gefälschten UN-Ausweis. »Mein Name ist Strand, Dr. Kalle Strand. Ich arbeite bei der Weltgesundheitsbehörde. Und das ist Ms. Lindquist«, fuhr er fort, indem er auf Fiona deutete, »meine Assistentin.«
»Ich verstehe nicht«, sagte die Frau, immer noch verstört. »Was wollen Sie denn?«
»Wir erforschen die Krankheit, die Ihren Sohn umgebracht hat«, erklärte Fiona behutsam. »Wir möchten herausfinden, was genau Michail zugestoßen ist, damit andere vielleicht eines Tages gerettet werden.«
Allmählich dämmerte auf dem gramzerfurchten Gesicht der Frau die Erkenntnis. »Oh! Natürlich. Kommen Sie! Kommen Sie! Bitte, treten Sie doch ein.« Damit ging sie beiseite und winkte die beiden Fremden in die Wohnung.
Der Wintermorgen draußen war hell, doch das Zimmer, in das Jon und Fiona kamen, wurde von einer einzelnen Birne an der Decke nur schwach beleuchtet. Dicke Vorhänge verdunkelten das einzige Fenster. Ein elektrischer Herd mit nur einer Platte und ein Waschbecken standen in einer Ecke des winzigen Zimmers, während ein zerschlissenes Sofa, zwei abgenutzte Holzstühle und ein niedriger Tisch beinah den ganzen Rest einnahmen.
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte die Frau, indem sie auf das Sofa deutete. »Ich hole meinen Mann, Juri.« Sie wurde rot. »Er versucht zu schlafen. Sie müssen ihn entschuldigen. Er ist nicht mehr er selbst. Seit unser Sohn …«
Offenbar unfähig, mehr zu sagen, ohne in Tränen auszubrechen, drehte sie sich um und eilte in den einzigen anderen Raum der Wohnung.
Stumm stieß Fiona Smith in die Seite und deutete auf das gerahmte Foto eines kleinen, lachenden Jungen, das auf dem niedrigen Tisch stand. Um eine Ecke war ein schwarzes Band geschlungen. Zu jeder Seite brannte eine kleine Kerze.
Smith nickte knapp. Er bedauerte es, dass er diese armen, trauernden Menschen täuschen musste – auch wenn es für eine gute Sache war. Doch es musste sein. Nach dem, was Fred Klein ihm am vergangenen Abend berichtet hatte, war es dringlicher als je zuvor, handfestes Material über den Ursprung dieser schrecklichen Krankheit zutage zu fördern. Den westlichen Nachrichtendiensten wurde eine Stütze
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