Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
ganz
langsam, um nichts von ihrer Ausrüstung zu beschädigen. Dann robbte sie durch das hohe Gras auf die Gräber zu, wobei sie lautlos von einem schattigen Fleck zum anderen glitt.
Immer wieder hielt Randi an und horchte, lauschte auf irgendein Geräusch, das ihr verraten konnte, wo ihre Gegner sich verbargen. Doch nichts war zu hören, nur die Martinshörner von Polizei und Feuerwehr und Krankenwagen, die auf den zerbombten ECPR-Komplex zurasten.
Endlich erreichte sie die Position, die sie angestrebt hatte, eine kleine Ansammlung von verkrüppelten Bäumen, die aus einem Hang oberhalb der Nekropole wuchsen. Von dort hatte sie die meisten Wege im Blick, insbesondere diejenigen, die zurück auf die Straße nach Orvieto führten.
Wieder holte Randi ihr Fernglas hervor. Methodisch ließ sie es über den alten Friedhof gleiten und fokussierte es zunächst auf die Eingänge der Gräber, die ihrer Meinung nach die beste Übersicht boten. Wenn sie sich nicht täuschte, hatten Renke und sein Leibwächter sich ein Grab ausgesucht, von dem aus sie jeden, der sich der Totenstadt von der Straße oder vom Parkplatz her näherte, sehen konnten.
Ihr Fernglas streifte langsam über einen Grabeingang etwa in der Mitte der Hauptstraße, stockte, und schwenkte wieder zurück. War der hellere Schatten in der Dunkelheit nur ein heruntergefallener Steinbrocken oder spielte das Mondlicht ihr einen Streich?
Randi hielt den Atem an und wartete geduldig. Der Schatten bewegte sich ein wenig und nahm Form und Gestalt an. Sie erblickte Kopf und Schultern eines glatt rasierten Mannes, der direkt hinter der niedrigen Öffnung hockte und entlang der Straße den Eingang zur Nekropole beobachtete. Wieder veränderte er seine Position und nun sah sie auch die Waffe in seiner Hand.
Sie verharrte ruhig. War Renke bei diesem Mann im Grab? Oder hatte sich der Waffenspezialist einen anderen Bau gesucht?
Der Leibwächter blickte sich kurz um, anscheinend wurde ihm
etwas zugeflüstert, denn er nickte, ehe er seine Wache wieder aufnahm.
Randi lächelte knapp. Wulf Renke war also da, er hockte geduldig im Dunkeln und wartete auf die Gelegenheit, abermals zu entwischen und unterzutauchen, wie schon so viele Male zuvor. Das hatte sie wissen wollen. Sie steckte ihr Fernglas weg und lief gebückt den Abhang hinab, wobei sie um die Straße, in der Renke und sein Leibwächter sich versteckten, einen großen Bogen machte.
Leise sprang sie auf den kleinen Weg, der die nördliche Grenze der Nekropole bildete, überquerte ihn rasch und suchte Schutz in einem der kleinen rechteckigen Hügelgräber. Dann ließ sie die Beretta wieder in ihr Hüftholster gleiten, schloss den Sicherungsriemen und zog sich mit beiden Händen auf das grasbewachsene Dach der Grabkammer.
Nun setzte Randi ihren Weg auf den Gräbern fort, leichtfüßig sprang sie von Dach zu Dach über die schmalen Wege, bis sie ein flaches Grab gleich nördlich von Renkes Versteck erreichte. Sie zog ihre 9mm-Pistole, kroch zu einer Ecke und spähte über die Kante.
Da, nur ein paar Meter entfernt, war der niedrige Eingang, an dem sie den Leibwächter des Wissenschaftlers gesehen hatte. Sie zielte mit der Beretta und wartete, dass ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Nach und nach nahm die Nacht verschiedene Schattierungen an, Formen enthüllten sich und Randi entdeckte erneut Kopf und Schultern des Wachtpostens, der dort mit seiner Maschinenpistole hockte. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug, doch dann lockerte sie ihn ein wenig. Sie beschloss, dem Kerl die Chance zu geben, sein Können zu beweisen.
»Waffe fallen lassen!«, kommandierte Randi ruhig.
Vollkommen überrumpelt reagierte der Wachtposten instinktiv. Er riss den Kopf hoch, drehte sich hastig um und hob die feuerbereite Uzi.
Randi schoss ihm in den Kopf.
Noch ehe das Echo des scharfen Knalls zwischen den Steinmauern verklungen war, war sie wieder in Bewegung. Sie rollte sich vom Dach, landete gebückt auf der Straße, hob ihre Pistole und nahm die Öffnung der Gruft aufs Korn.
Kein Geräusch war zu hören. Nichts bewegte sich im Innern.
»Wulf Renke!«, sagte Randi leise in perfektem Deutsch, die Stimme gerade so laut, dass sie im Grab gehört werden konnte. »Es ist vorbei. Sie sitzen in der Falle. Kommen Sie mit erhobenen Händen raus, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Sonst knall ich Sie ab.«
Einen Augenblick dachte sie, er würde stumm bleiben und sich nicht zu erkennen geben. Doch dann gab der Wissenschaftler Antwort.
Weitere Kostenlose Bücher