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Das Motel

Das Motel

Titel: Das Motel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brett McBean
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wo er den Reißverschluss der Reisetasche schloss und den Koffer zumachte. Wenn Judy immer noch irgendwas einpacken will, dann kann sie das auch im Wagen machen, dachte er und rannte wieder zurück in den Flur.
    Judy kam ihm aus dem Wohnzimmer entgegen und löschte im Vorbeigehen das Licht. Sie hielt etwas im Arm, das aussah wie Fotoalben. Morrie sah, dass noch immer Tränen in ihren Augen standen und sie schien die Alben fester zu umklammern, als es eigentlich nötig gewesen wäre.
    Morrie erwähnte es nicht. Er lächelte sie flüchtig an und wartete, bis sie draußen war.
    »Bist du jetzt sicher, dass du alles hast?«
    Sie nickte.
    Er schaltete das Licht im Flur aus und zog die Tür hinter sich zu. »Versuch, ihn nicht anzuschauen«, riet Morrie ihr.
    Sie folgte seinem Rat und blickte starr geradeaus. Morrie hingegen konnte nicht anders, als einen Blick zu riskieren.
    Mach, was ich sage, nicht, was ich selber tue, lachte Morrie innerlich. Doch beim Anblick der blutigen Leiche, die in der kalten Nacht ausgestreckt auf dem feuchten Gras lag, wurde ihm übel. Es machte ihn krank, zu wissen, dass er dafür verantwortlich war, auch wenn der Kerl nur ein Schlitzauge war.
    Sie eilten zum Wagen hinüber. Morrie öffnete die rechte Hintertür und warf Judys Gepäck hinein. Sie wartete bereits neben der Beifahrertür und schaute hinter sich auf die dunkle Straße. Wahrscheinlich hält sie Ausschau nach Blaulicht, vermutete Morrie. Nachdem er die Hintertür zugeknallt und abgeschlossen hatte, blieb Morrie einen Augenblick lang stehen und horchte. Nein, er konnte keine Sirenen hören.
    Hastig lief er um den Wagen herum zur Fahrerseite, öffnete die Tür und sprang hinein. Dann lehnte er sich hinüber, öffnete die Beifahrertür und ließ auch Judy einsteigen. Sie langte nach hinten, legte die Fotoalben vorsichtig neben die Taschen auf den Boden und drehte sich dann wieder um.
    Trotz seiner zitternden Hände gelang es Morrie, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken und ihn umzudrehen, und der Wagen erwachte brummelnd zum Leben. Morrie war kurz davor, die Scheinwerfer einschalten, hielt dann jedoch inne. Er wollte den toten Jungen einfach nicht grotesk beleuchtet sehen wie irgendeine Zirkusattraktion und er wusste, dass Judy das noch viel weniger wollte.
    »Wir lassen ihn einfach hier liegen?«, sagte sie. Eigentlich war es weniger eine Frage als eine simple Feststellung.
    Morrie starrte – vielleicht zum letzten Mal – auf ihr bescheidenes Zuhause und verspürte plötzlich einen Anflug von Trauer. Sie hatten 20 lange, aber glückliche Jahre in diesem Haus verbracht. Es waren zwar keine Kinder darin aufgewachsen, aber er hatte sein gesamtes Erwachsenenleben in der Enge dieses kleinen Hauses verlebt, weit draußen im einsamen Buschland von Lilydale.
    Morrie setzte den Wagen zurück und aus der Einfahrt heraus und sah, dass zu seiner Rechten ein Auto parkte. Er wusste, dass es sich dabei um den Wagen des Jungen handeln musste.
    Er ist nicht damit weggefahren, dachte Morrie. Ich frag mich, warum.
    Er hielt sich jedoch nicht lange damit auf, weiter darüber nachzudenken. Er wollte einfach so schnell wie möglich weg vom Haus – und weg von der Leiche. Morrie lenkte den Wagen auf die Straße und entfernte sich mit röhrendem Motor von ihrem Haus.
    Er schaltete die Scheinwerfer an. Judy starrte aus dem Fenster und ihr gesamter Körper bebte unter ihren unaufhörlichen Schluchzern. »Wo fahren wir denn jetzt hin?«, schniefte sie.
    Morrie hatte noch gar nicht bewusst über diese Frage nachgedacht, war jedoch automatisch in Richtung Maroondah Highway gefahren. Dies erschien ihm die vernünftigste Wahl zu sein: Dieser Highway lag ihnen am nächsten und er führte durch dichtes Buschland und Gebirge. Außerdem wusste Morrie, dass sich bis hinauf nach Mansfield unzählige kleine Städte entlang dem Highway aneinanderreihten. Dahinter mündete der Maroondah in dem Hume Highway, führte nach New South Wales und über seine Grenzen hinaus. Wenn sie es in einen anderen Bundesstaat schafften und sich an irgendeinem abgeschiedenen Ort verstecken konnten, wären sie in Sicherheit. »Zum Maroondah Highway«, antwortete Morrie.
    »Fahren wir heute Nacht noch den ganzen Weg bis nach New South Wales?«, wollte Judy wissen.
    »Wir werden sehen.«

KAPITEL 22
    22.36 Uhr
    Morrie musste gähnen, und einen Augenblick lang wurde die Nacht noch schwärzer. Als er fertig war, kurbelte er das Fenster runter. Der eiskalte Wind schlug ihm ins Gesicht und

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