Das Motel
begreifen, wie Morrie so etwas tun konnte, aber es ergab durchaus Sinn. Er hatte gute Gründe, die Telefonleitung zu kappen.
Madge hatte Angst. Wenn irgendjemand – Morrie – sich tatsächlich solche Mühe gemacht hatte, dann war sie womöglich in Gefahr.
Ich muss irgendwie die Polizei erreichen.
Da sie nur zwei Telefone hatte – eines im Büro und eines in ihrer Wohnung – hatte sie keine andere Möglichkeit, die Behörden zu verständigen, außer nach Hutto zu fahren und sie von dort aus anzurufen.
Sie wollte ihr Motel nicht verlassen, aber sie hatte keine Wahl.
Madge rannte zu ihrem Jeep hinüber. Als sie sich dem Wagen näherte, hüpfte der Lichtstrahl ihrer Taschenlampe über die rechte Seite des Autos und über die Reifen, die – das konnte sie schon aus ein paar Metern Entfernung erkennen – beide platt waren.
Madge blieb stehen, bis das erneute Schwindelgefühl sich wieder gelegt hatte. Sie befahl sich, Ruhe zu bewahren, und erinnerte sich an den Ersatzreifen, der sich im Kofferraum des Jeeps befand. Sie sagte sich, dass sie den Wagen auch mit einem Platten würde fahren können.
Aber was ist mit den Reifen auf der linken Seite? Wenn die auch platt sind, bin ich geliefert.
Sie eilte um den Wagen herum zur Rückseite des Jeeps und leuchtete mit der Taschenlampe auf das Hinterrad. Aufgeschlitzt, genau wie die anderen. Dasselbe galt für den Vorderreifen.
Madge begann zu weinen. Aber nun weinte sie nicht mehr über den Herzschmerz und den Kummer, den Morrie ihr beschert hatte – ihre Tränen waren Ausdruck ihrer panischen Angst.
Sie richtete sich auf und schaute zu der Hütte hinüber, in der sich Morrie und seine Frau befanden. Hinter den Vorhängen konnte sie einen schwachen Lichtschein erkennen.
Noch wach, dachte sie.
Sie entfernte sich vom Wagen und stapfte zurück in ihre Hütte. Sie ging hinein, knipste die Taschenlampe aus und legte sie wieder auf die Arbeitsplatte.
Sie wischte sich die Tränen weg und zog ihre Kapuze vom Kopf.
Was konnte sie nun noch tun? Kein Telefon und kein Auto. Sie saß hier in der Falle.
Es sei denn … sie würde sich an die zweistündige Wanderung durch die Berge wagen und zu Fuß nach Hutto gehen.
Zwei Stunden wandern, bei dem Wetter? Vermutlich werde ich erfrieren oder vom Blitz getroffen.
Sie schüttelte den Kopf. Das war keine gute Idee.
Sie ging durchs Wohnzimmer in ihr Schlafzimmer.
Morrie ist ein Mörder. Er hat dich betrogen und eingelullt, und du bist auf ihn hereingefallen.
Außerdem hat er deine Reifen aufgeschlitzt und die Telefonleitung gekappt.
Dieser Mistkerl. Du darfst nicht zulassen, dass er dir Angst macht. Sei stark. Du darfst ihn mit all dem, was er dir angetan hat, nicht davonkommen lassen.
Schmerz und Wut überschatteten nun ihre Angst. Das hier war schließlich immer noch ihr Motel. Sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass irgendjemand sie oder ihr Motel zerstörte.
Sie rannte zur Kommode hinüber und riss die oberste Schublade auf.
Sie war weg.
Die .41 Magnum ihres Mannes war weg.
KAPITEL 40
Madges Geschichte
4. April 1960
Als sie das Licht im Badezimmer löschte und ins spärlich beleuchtete Schlafzimmer trat, legte sich ein Lächeln auf Madge Fraisers Gesicht. »Ziehst du dich auch irgendwann mal an?«, fragte sie und ging zum Bett hinüber.
Der Mann, der auf der Bettdecke lag, die Hände unter seinen Kopf geschoben, lächelte ebenfalls. »Das werde ich, wenn du es auch tust.«
Madge schaute zu seinem inzwischen wieder erschlafften Penis hinunter, der an der Innenseite seines linken Beins ruhte, und spürte, wie eine heiße Welle durch ihren Körper schwappte.
Mein Gott, wir hatten doch gerade erst Sex. Will ich es wirklich so schnell noch einmal tun? Will ich diesen armen Mann denn wirklich so auslaugen?
»Woran denkst du?«
Madge wandte ihren Blick ab und sah Jason MacDonald ins Gesicht. Er grinste.
»Ich schaff das auch noch mal, weißt du. Ich bin ein wahrer Don Juan.«
Sie nickte. »Ich weiß. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht so viel Sex. Noch nicht mal, als ich noch ein Teenager war.«
»Dann bereust du die vergangenen sechs Monate also nicht?«, fragte er ein wenig unsicher.
»Natürlich nicht«, versicherte Madge.
Und es entsprach der Wahrheit.
Sie waren seit ungefähr zehn Jahren befreundet. Damals hatte er gerade bei der Polizei angefangen. Ein junger, strammer 18-Jähriger. Jack hatte ihn unter seine Fittiche genommen, wie man so schön sagte. Damals war Jack noch Detective
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