Das Mozart-Mysterium
unserem Hoforchester als Violinist aus, vermutlich hat er damals auch dieses Gemälde angefertigt.«
Also hatten wir gefunden, was wir suchten. Eine Leiter war jedoch weit und breit nicht zu sehen. Es blieb uns nur eine Möglichkeit, wir mussten wieder eine Räuberleiter bilden, bei Tage, mitten in einer Kirche! Zu unserem Glück war außer uns niemand im Raum, also mussten wir rasch handeln. Da ich der leichtere war, gab Mozart mir mit vor dem Bauch fest verschränkten Händen die erste Stufe, in die ich meinen rechten Fuß setzte. Mit Schwung streckte ich mich und setzte meinen linken Fuß auf Leopolds linke Schulter, mich dabei mit meinen Händen am Rahmen des Gemäldes haltend.
Ich war ganz nahe am oberen Bildrand und dem gemalten Schriftband, als Leopold zu wanken anfing und ich mit ihm. Er stieß einen heiseren Schrei aus, als er nach hinten kippte. Ich konnte mich nur mit den Fingerspitzen am oberen Rand des Bildes festhalten und hing hilflos vom Altar herunter. Lange würde die Kraft meiner Hände nicht ausreichen, also versuchte ich, so rasch wie möglich das Spruchband zu entziffern. Es war nur ein einziger Satz zu lesen:
› Es ist Gesetz: Unser irdisch Leben ist eine kurze Melodie vor dem unendlichen Lobpreis der englischen Schar.‹
Das Gemälde schwankte leicht von vorn nach hinten und wieder zurück, wie ein junger Baum im Wind. Ich wusste, die zierliche und hohe Holzkonstruktion würde nicht lange halten. Wenn wir das Bild beschädigten und dabei erwischt würden, erwartete uns sicher eine harte Strafe durch den Bischof, Mozart verlöre vielleicht sogar seine Stellung. Ich musste mich also so rasch wie möglich fallen lassen, um den Einsturz zu verhindern. Mozart versuchte eben, sich aufzurichten, als ich wie ein nasser Sack herabfiel und direkt auf ihm landete; beide fielen wir hart zu Boden.
Mozarts lag mit schmerzverzerrtem Gesicht und zugekniffenen Augen unter mir.
»Mozart!« Ich war sehr verängstigt, er könnte sich ernstlich verletzt haben. Langsam öffnete der Maestro die Augen. Er tastete sich ab und stellte fest, dass er sich wohl nichts gebrochen hatte.
Ich war froh und blickte mich um, ob jemand in der Zwischenzeit die Kirche betreten und uns gesehen hatte. Zum Glück schien niemand da zu sein, sodass ich rasch Mozart zu Hilfe kam und ihm aufhalf.
»David, wir können so den Ort nicht verlassen. Wir kennen noch nicht das nächste Versteck.«
Der Maestro hatte vollkommen recht. Ich betrachtete das Gemälde erneut. Am unteren Rand befand sich eine seltsame Szene, die eine Menschenmenge vor einer rätselhaften Freilichtbühne darstellte. »Maestro, welche biblische Geschichte wird hier unten eigentlich dargestellt?«
Mozart war stumm und fassungslos, zuckte nur mit den Schultern. Er betrachtete die Personen genauer, aber offensichtlich war kein Hinweis enthalten. »Ah!« sagte Mozart. »Ich hab’s! Schauen sie nur, David. Das Bild ist das Rätsel! Kommt Ihnen die Bühne nicht bekannt vor? Es ist kein biblisches Ereignis, sondern ein Theaterstück, das hier geboten wird. Die ganze Bühne ist in Fels gehauen, wie bei den alten Römern, nur dass alle Personen moderne Kleidung tragen. Dies ist das ›Steinerne Theater‹ bei Salzburg, im angrenzenden Hellbrunnerberg bei Schloss Hellbrunn, die älteste Freilichtbühne Europas!«
Liebesaffäre
27. Oktober
Auf dem Heimweg von der Dreifaltigkeitskirche stellte sich heraus, dass Mozart von meinem Sturz heftige Schmerzen im rechten Bein verspürte. Wir verschoben daher alle weiteren Aktionen auf den nächsten Tag, damit der Maestro verarztet werden konnte. Zum Glück war es nur eine Verstauchung, aber Mozart war dadurch erheblich beim Gehen beeinträchtigt.
Ich musste also die nächste Reise, zum Steinernen Theater, allein antreten, damit der Maestro etwas Erholung finden und für die unnachgiebig näher rückende Kutschfahrt nach Leipzig zur Übergabe seiner eigenen Mitgliedsgabe und der gefundenen Gesetze (einschließlich des selbst erkannten) genügend Kraft haben würde. Auch musste Mozart die Reinschrift seiner Violinschule (die zwar vollendet war) noch auf Fehler hin durchsehen und die letzten Notenbeilagen – kleine Violinstücke als Beispiele seiner Ideen – fertigstellen.
Stattdessen würde Mozarts Adlatus mich begleiten. Obwohl dieser mir in der Vergangenheit als etwas naseweis erschienen war, so war er doch immer eine verlässlicher Begleiter und Helfer gewesen und bereits seit vielen Jahren Mozarts
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