Das München-Komplott
endlich diese Sache anzugehen, wirkte auf sie wie eine Befreiung.
Sie hatte einen Plan, und sicherheitshalber ließ sie ihn vom Innenminister absegnen.
»Versuch dein Glück, Charlotte«, sagte er. »Meinen Segen hast du.«
Sie sagte Termine ab. Es bereitete ihr ein fast kindliches Vergnügen, alle repräsentativen Termine unter den Ministerialdirektoren aufzuteilen, die ihre Reden zuvor wahrscheinlich konzipiert hatten. Nun müssen sie das Zeug endlich einmal selbst vorlesen.
Sie reckte das Kinn und setzte sich aufrecht im Fond des gepanzerten Audi, der sie nach Köln brachte. Zugegeben, etwas Unmut hatte die Weigerung des Präsidenten des Verfassungsschutzes ausgelöst, sie im Ministerium aufzusuchen. Dringende Operationen, die seine Anwesenheit im Kölner Lagezentrum erforderlich machten, hatte er gesagt. Ein Termin sei erst in drei Monaten möglich.
Sie hatte ihm kein Wort geglaubt. Nun gut. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt … Es ging ihr nicht um Statusfragen. Sie wollte jetzt endlich in dieser Sache vorankommen.
Der Fahrer war gesprächig. Er sei in Koblenz geboren, ein »echtes Schengelsche«, sagte er, was Charlotte nicht verstand. Dann schwärmte er von seiner Heimatstadt, der Altstadt, der Kneipendichte. Da komme Berlin nicht mit. Ja, und das Deutsche Eck, man sei schnell an der Mosel, da gäbe es Wein, wunderbar, den besten Riesling. Doch, doch, den müssen Sie mal probieren, sagte er, als er ihr skeptisches Gesicht im Rückspiegel sah. Und als dem Mann nichts mehr zu erzählen einfiel, stellte er das Radio an, einen Schlagersender, den sie nicht ausstehen konnte. Aber heute summten sie beide mit.
Sie dachte an etwas anderes, bereitete sich im Geist auf das kommende Gespräch vor. Das würde nicht einfach werden. Am 20. Januar 2001 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder beim Bundesverfassungsgericht den Antrag eingereicht, die Verfassungswidrigkeit der NPD festzustellen, um damit ein Verbot der Partei zu erreichen.
Das Verfahren wurde ein Fiasko. In der mündlichen Anhörung vor dem Gericht erklärt der damalige Innenminister Schily, es habe keine Steuerung der NPD durch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gegeben. Dann flog aber auf, dass der nordrhein-westfälische Landesverband der NPD nahezu komplett von V-Leuten des Verfassungsschutzes gesteuert wurde. Nicht nur der Vorsitzende und sein Stellvertreter, sondern auch der Chefredakteur der Parteizeitung »Deutsche Zukunft« waren Agenten des Geheimdienstes. Mehr noch: Die Zitate, die die Bundesregierung ins Feld führte, um die Verfassungswidrigkeit der NPD zu beweisen, waren im Wesentlichen von Verfassungsschutzmitarbeitern geschrieben worden.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass das höchste deutsche Gericht am 18. März 2003 entschied, das NPD-Verbotsverfahren nicht weiterzuführen. Das entscheidende Verfahrenshindernis sei, und dieses Wort ließ sie erschauern, die »fehlende Staatsferne« der NPD.
Seither hatte die NPD quasi einen Freibrief. Wer immer von der Regierung ein Verbot der Nazi-Partei verlangte, dem wurde von hohen Politikern geantwortet, die Aussichten eines neuen Verfahrens beurteile man skeptisch.
Am Eingang wurde sie von einem Beamten empfangen, der sie zu den Aufzügen brachte. Sie war nicht das erste Mal in der Zentrale des deutschen Inlandgeheimdienstes, aber nie hatte sie sich mit dem Gebäude anfreunden können. Wie eine Trutzburg wirkte der in den Siebzigerjahren errichtete graue Bau auf sie. Sie roch sofort den typischen Verwaltungsgeruch, den eigentümlichen Mix von Reinigungsmitteln und Behördenmief. Lange dunkle Gänge bestimmten das Innere dieses Baus, und Charlotte hoffte, dass die Gedanken der hier Beschäftigten heller sein mögen als ihre Arbeitsumgebung.
Der Chef des Verfassungsschutzes empfing sie in seinem Büro im obersten Stockwerk. Er stand vor seinem Fenster, das einen großartigen Blick über Köln bot.
Sie versuchte sofort, energisch aufzutreten.
»Die Bundesregierung will noch vor den Wahlen ein neues Verbot der NPD in die Wege leiten. Sie müssen dazu alle V-Männer abziehen. Wir wollen dem Bundesverfassungsgericht nicht noch einmal eine solche Steilvorlage bieten. Was glauben Sie, bis wann können Sie Ihre Leute abgezogen haben?«
Der Chef des Geheimdienstes war ein kleiner Mann. Grauhaarig, mit gepflegtem Schnauzbart. Er sah Charlotte nachsichtig an.
»Gar nicht, Frau Staatssekretärin.«
»Bitte?«
»Wir können unsere Leute nicht aus der
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