Das München-Komplott
NPD abziehen.«
»Ich habe die ausdrückliche Unterstützung des Ministers, und der Minister hat die Rückendeckung durch die Kanzlerin.«
»Frau Staatssekretärin, ich weiß, wie sehr Ihnen diese Sache am Herzen liegt. Aber selbst, wenn wir wollten – wir können nicht. Und wir dürfen nicht.«
»Dies ist eine Weisung.«
»Frau Staatssekretärin: Wenn wir unsere Leute aus der NPD abziehen, sind diese sofort enttarnt. Sie hätten die Rache der Nazis zu fürchten. Wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Leuten. Eine gesetzliche Fürsorgepflicht. Die kann ich nicht verletzen. Ich würde mich strafbar machen.«
Charlottes Zuversicht sank.
»Und zweitens haben wir hier alle den Eid auf die Verfassung abgelegt. Wir können die V-Leute nicht aus der NPD abziehen. Wir würden damit unseren verfassungsmäßigen Auftrag verletzen.«
Der Präsident lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sie, als sei sie ein seltenes Insekt.
Es verging eine Weile, in der niemand sprach und in der aller Mut aus ihr wich und alle Zuversicht.
Haltung, dachte sie. Ich muss vor diesem Zwerg Haltung bewahren, darf mir nichts anmerken lassen. Haltung bewahren, auch in der Niederlage.
Sie fühlte sich gedemütigt. Und alleingelassen.
Sie zeigen der Sprechpuppe die Grenzen auf, dachte sie. Und so sieht er mich wahrscheinlich: als eine Sprechpuppe, die sich in einem Gelände verirrt hat, das sie nichts angeht.
»Minister kommen und gehen«, hörte sie den Beamten auf dem Gang neulich sagen. »Und Staatssekretäre auch.«
»Und die Bürokratie bleibt«, sagte Charlotte laut.
Der Chef des Verfassungsschutzes hob eine Braue.
Sie winkte ab und erhob sich.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir sind dran an dem Thema. Sie können uns vertrauen. Wir haben diese Burschen im Griff. Aber wir können die Beobachtung nicht einstellen.«
Charlotte streckte sich.
Hob das Kinn.
Dann ging sie.
G 96338225
Drei Tage später lieferte die Spedition Schenker zwei versiegelte silbrig metallene Kisten. Drei verschwitzte Männer schleppten sie in Denglers Büro im ersten Stock. Er quittierte den Empfang, und die Männer verabschiedeten sich.
Die Siegel waren unversehrt. Er brach sie mit einem Küchenmesser auf. In den Kisten waren Papiermappen. 102 Aktenbände, wie der beiliegende Lieferschein aussagte. Sie enthielten die Kopien der Ermittlungsakten. Dengler sortierte sie nach Zeugenaussagen, Spurenanalysen und Technischen Gutachten.
Die Bombe, so lautete der zusammenfassende Bericht, lag in einem aus Blechboden und Metallgitter gefertigten Papierkorb, der in der westlichen Hälfte der Wirtsbudenstraße an einem Verkehrsschild befestigt war. Die Explosion zerriss den Papierkorb in unzählige scharfkantige Splitter, die die verheerende Wirkung der Bombe vervielfältigten.
14 Meter vom Zentrum der Explosion entfernt lag der Torso der am schwersten verstümmelten Leiche. Beide Unterarme und das linke Bein waren abgerissen. Der Brustraum aufgerissen, das Gesicht zerstört. Bis auf einige wenige Stoffreste hatte die Druckwelle dem Mann die Kleider vom Leib gerissen.
Dengler las den Obduktionsbericht und die Dossiers der Sprengstoffexperten. Dieser Mann musste zum Zeitpunkt der Explosion unmittelbar vor dem Papierkorb gestanden haben. Wahrscheinlich griff er gerade in den Papierkorb oder umfasste ihn, sodass ihm die Hände abgerissen wurden. Er musste sich vornübergebeugt haben, denn die Beuge zwischen Nabel und Scham war nahezu unversehrt. Kopf und Gesicht jedoch wurden von der Explosion und den Splittern aufgerissen und zerstört. Das linke Bein, zur Balance nahe am Papierkorb stehend, wurde abgerissen. Rücken und Gesäß, der Bombe abgewandt, blieben unverletzt.
Die Polizei nahm aufgrund dieser Beschreibung an, dass es sich bei dieser Leiche um den Attentäter handeln müsse.
Etwa sechs Meter südlich des Explosionsortes wurde ein Bundespersonalausweis aufgefunden, ausgestellt auf die Personalien Gundolf Köhler, geboren 27.8.1959 in Schwenningen, wohnhaft in Donaueschingen, mit der Nummer G 96338225.
In Wiesbaden
Charlotte von Schmoltke war unsäglich müde, als sie wieder im Wagen saß. Am liebsten wäre sie in dem weichen Leder der Rückbank weggedämmert. Der Fahrer schien ein untrügliches Gespür für die Stimmung seines Fahrgastes zu haben, denn diesmal schwieg er und ließ auch das Radio ausgeschaltet.
Also doch nur eine Sprechpuppe, dachte sie. Mehr bin ich nicht in diesem Betrieb. Der Zug rast auf vorgegebenen
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