Das München-Komplott
hatte er am Fenster gestanden und ihr zugesehen und war sich dabei vorgekommen, als bestaune er eine traumhafte Filmsequenz oder eine in slow motion getanzte Aufführung von Pina Bausch. Doch wer hätte diesen wunderbaren Tanz durch die Lüfte inszenieren können?
Am Tag seines Todes war Klaus Nauber heiter gestimmt. Nachdenklich, aber heiter. Es war ein besonderer Tag für ihn. Heute Abend würde er zum ersten Mal im Harvard Club speisen. Oft schon war er in New York gewesen, aber noch nie hatte man ihn in diesen Club eingeladen.
Roger, sein alter Freund aus Brüsseler Tagen, hatte es möglich gemacht. Er hatte in Harvard studiert und durfte daher als Ehemaliger auch Gäste mitbringen, die keine Club-Mitglieder waren.
Klaus Nauber hätte gern seinen Sohn dabeigehabt. Er hätte ihm gern gezeigt, wie sehr er geschätzt wird, hier in New York und überall auf der Welt. Aber sein Sohn begleitete ihn nicht auf seinen Reisen. Schon lange nicht mehr. Er ging seine eigenen Wege. Das war nun nicht weiter schlimm. Söhne müssen ihre eigenen Wege gehen, irgendwann einmal. Aberdass sein Sohn bis heute immer nur die Gegenposition zu ihm einnahm, schmerzte ihn. Irgendwann musste das doch aufhören. Nun betrieb er in Tübingen einen, wie er es nannte, »Antimilitaristischen Informationsdienst«. Das hört man nicht gern über seinen Sohn, wenn man selbst eine erfolgreiche Soldatenlaufbahn absolviert hatte und sich Generalleutnant a. D. nennen konnte.
Die beiden Offiziere des Militärischen Abschirmdienstes, die ihn darüber informierten, waren sehr verständnisvoll gewesen. Er hatte ihnen nicht viel über seinen Sohn berichten können. Er wusste einfach nicht mehr, was dieser tat und dachte. Jedenfalls tat und dachte er nicht so, wie er sich das gewünscht und wie er ihn erzogen hatte. Gegen den Zeitgeist hilft oft die beste Erziehung nichts, hatte einer der beiden Herren gesagt. Wohl wahr. Nauber hatte sogar versucht, seinem Sohn zu erklären, dass er sich nie von seinem Einfluss würde frei machen können, wenn er immer das Gegenteil von ihm machte.
»Du bist dann an mich gefesselt – und gerade das willst du doch nicht«, hatte er gesagt.
Aber sein Sohn hatte gelacht.
»Ich kämpfe nicht für eine friedliche Welt, weil ich gegen dich bin, sondern weil es notwendig ist.«
Was sollte man darauf antworten?
Nauber spürte, wie seine Laune schlechter wurde, aber er wollte sich diesen Tag nicht durch düstere Gedanken vermiesen lassen.
Er sah durchs Fenster, suchte den Himmel ab, aber er sah die Plastiktüte nicht mehr.
Ich ziehe den blauen Anzug an, dachte er. Dazu ein frisch gestärktes weißes Hemd und die grün-weiß gestreifte Krawatte.
Nauber war ein kleiner Mann, und wie viele kleine Männer wurde er von einem unbändigen Ehrgeiz angetrieben, dem Napoleon-Syndrom, wie seine Frau noch während derScheidungsverhandlung gesagt hatte. Er wollte es allen beweisen, und er hatte es allen bewiesen.
Es war erhebend, ein Glücksmoment ohnegleichen, wenn er einen Appell abnahm und irgendein Oberst, ein Klotz von einem Kerl, ihm Meldung zu machen hatte.
»Ich melde, Herr Generalleutnant: Brigade soundso angetreten zum Ehrenappell blah, blah.«
Und er hatte ruhig geantwortet: »Ich danke Ihnen, Herr Oberst. Lassen Sie die Männer wegtreten.«
Nun ja, das war vorbei. Er war nun außer Dienst. Aber sein Rat war immer noch gefragt. Er war immer noch wichtig.
1961 war er in den Dienst der Bundeswehr eingetreten und wurde Leutnant der Artillerie. Vielleicht war auch Glück dabei, dass er zum Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausgesucht wurde. Aber allein seinem Ehrgeiz und seiner Intelligenz verdankte er es, dass er als Lehrgangsbester mit dem General-Heusinger-Preis ausgezeichnet wurde. Von da an ging es steil bergauf. Er war Batteriechef bei der 135. in Lahnstein, G3-Offizier bei der Panzerbrigade 15 in Koblenz, wechselte als Leiter der Artillerieschule nach Idar-Oberstein, wurde Kommandeur der Panzerbrigade 30 in Ellwangen und schließlich Brigadegeneral mit einer Verwendung im Bonner Verteidigungsministerium. Dann erfolgte seine Kommandierung zur Nato nach Brüssel, wo er im Allied Clandestine Committee arbeitete. Nach der Wende wurde er Heeresinspekteur und leitete den Umbau der Bundeswehr ein, indem er sie in Hauptverteidigungskräfte und in Krisenreaktionskräfte unterteilte. Dann wurde er erneut zur NATO berufen und Mitglied im Militärausschuss. Gern wäre er noch
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