Das München-Komplott
gesehen, dieses sanfte, dieses milchige Grün – auf der ganzen Welt hatte nur dieser Fluss eine solche Farbe.
Mike Denver mochte Chicago. Die Stadt erinnerte ihn an Paris. Er hatte eine gute Zeit in Paris bei der NATO gehabt. Es waren andere Zeiten gewesen, andere Zeiten als heute, sicher, aber trotzdem gute Zeiten. Das Ufer der Seine: Wie gerne war er dort morgens gejoggt. Das ging jetzt nicht mehr, wegen des Knies. Aber so schönes grünes Wasser hatte die Seine nicht gehabt.
Gegenüber sah er die beiden Maiskolben nachgebildeten Türme des Marina Centers. Das hatte Paris auch nicht: die verrückten Häuser von Chicago. Trotzdem wäre er jetzt gern auch in Paris gewesen. Allein. Ohne Mary, von der immer noch leise Schnarchtöne aus dem Schlafraum zu ihm herüberdrangen. Er verzog die Mundwinkel und ging ins Bad.
Auf der Fahrt im Bus gab es weitere Informationen über diesen Mies van der Rohe von einer jungen brünetten Frau, die vorne neben dem Fahrer saß und das Leben dieses Architekten erzählte. Er hatte das moderne Bauen in Deutschland erfunden und einer Gruppe angehört, die sich Bauhaus nannte. Die Nazis hatten ihn scheinbar nicht gemocht, obwohl dieser Mies sich ihnen anpasste. Die Brünette erzählte, dass er 1933 in die Reichskulturkammer eintrat und 1934 einen Aufruf von Kulturschaffenden zugunsten Adolf Hitlers unterschrieb. Nach einer Reise in die USA zog er 1938 nach Chicago und wurde 1944 Bürger des Landes. Einige der Wolkenkratzer und Wohnhäuser, an denen er in Chicago schon zigmal vorbeigefahren war, stammten von ihm. DunkleGlasfassaden. Ihm war nicht klar, was daran bedeutend sein sollte.
Das Farnsworth House baute er 1950/51 für die Chicagoer Zahnärztin Edith Farnsworth. Die Reiseführerin erzählte, dass er sich in die Planung ziemlich reingekniet habe, aber der Zahnärztin habe das Haus trotzdem nicht gefallen. » Ich wollte etwas ›Bedeutungsvolles‹ haben, und alles was ich bekam, war diese glatte, oberflächliche Sophisterei«, habe sie gesagt, erzählte die Brünette.
Denver wusste nicht, warum sie nun schon seit mehr als einer Stunde in einem Bus durch das Flachland von Illinois fuhren, um ein Haus zu besichtigen, das nicht einmal der Besitzerin gefallen hatte.
Mary war ihm etwas schuldig.
Er knurrte etwas Unfreundliches, damit sie auch genau verstand, dass er ihr zuliebe ein Opfer brachte, und sah zufrieden, wie seine Frau enttäuscht die Lippen zusammenzog.
Endlich waren sie da.
Das Haus lag auf einer Wiese, eingegrenzt durch den Fox River und einen kleinen Wald, der wiederum von einer Brücke und der Uferstraße eingefasst wurde.
Erstaunlicherweise gefiel ihm der Bau. Es war ein Bungalow, viel Glas, auf Stelzen gebaut. In Neuengland gab es so etwas nicht.
»Ist es nicht herrlich?«, fragte Mary.
Mitten auf dem Fox River ankerte ein Boot mit einem Angler.
Viel Ahnung vom Angeln kann der nicht haben, dachte Denver. Mitten in der Strömung zu sitzen. Da wird nur der allerdümmste Fisch anbeißen.
Die Außenwände waren vollkommen aus Glas. So ermögliche das Haus in jeder Situation den direkten Kontakt mit der umgebenden Natur, sagte die Brünette. »Das Haus, so habe Mies van der Rohe einmal gesagt, bestände praktisch aus Nichts.«
Endlich hat er’s kapiert, dachte Denver, als er sah, wie der Angler den Anker hochzog und den Motor anwarf.
An der reduzierten Gestaltung des Hauses ließe sich gut der Grundsatz des Architekten studieren, dass weniger manchmal mehr sein könne, erklärte die Führerin.
Das Boot des Anglers fuhr nun schnell auf das Ufer zu. Auch kein guter Platz, dachte Denver. Ich würde die andere Flussseite wählen, da ist die Strömung geringer.
Der Innenraum sei etwa 140 Quadratmeter groß und bis auf einen in der Mitte gelegenen Block mit den benötigten Installationen wie Küchenzeile, Bad usw. frei von Konstruktion und Trennwänden.
Während sie die Details erläuterte, sah er dem Angler zu, der nun das Boot einen Meter aufs Ufer zog. Er bückte sich, und Denver dachte, er würde die Angel aus dem Rumpf heben.
»So erzielt der Anblick dieses Hauses einen poetischen Effekt, es vermittelt uns ein Gefühl der Leichtigkeit, es ist die Vision eines transparenten Hauses inmitten der Natur, es scheint zwischen Himmel und Erde zu schweben.«
Es war keine Angel, die der Mann aus dem Boot hob.
»Und eben diese Leichtigkeit ist es, die dieses Haus zu einem der bedeutenden Baudenkmäler der USA macht.«
Der Mann sah nun durch ein Fernglas hinüber
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