Das Multiversum 1 Zeit
Manchmal landete er in einem sterbenden dunklen Universum, wo die Sterne schon ausgebrannt schienen und der Himmel mit schrumpfenden orangefarbenen und roten Punkten übersät war.
Einmal hatte er eine Galaxis über dem Kopf, ein Dach aus Licht, unter dem Sternenhaufen wie Engel verteilt waren. Und als er das Sonnenvisier lüftete, sah er seine Wangenknochen und die Nase im Widerschein des komplexen Lichts, das ganze hagere Gesicht.
… Aber es war nicht richtig. Nicht ganz.
Da waren der hell leuchtende Kern, die breite Scheibe, sogar die Andeutung einer Spiralstruktur. Aber eben nur eine Andeutung.
Da waren keine hellen blauweißen Funken, die er auf den vom Feuerkäfer übertragenen Bildern gesehen hatte, keine großen Supernova-Blasen, Löcher, die der Tod riesiger Sterne in die großen Molekülwolken gerissen hatte.
Es war nicht ganz richtig.
Malenfant eilte weiter.
Emma wurde immer schwächer. Sie schlief immer länger, und die wachen Phasen wurden kürzer. Es war, als ob sie ihre Energie sparte und wie die Farmer der Schwarzen Löcher am Unterlauf der Zeit sich in den Tiefschlaf versetzte. Aber diese Sparsamkeit hatte sich für die Unterlaufbewohner nicht ausgezahlt. Und bei Emma würde es auch nicht funktionieren.
Schließlich gelangte er an den Punkt, wo er beim Durchgang durchs Portal nicht einmal mehr gen Himmel blickte. Das 569
menschliche Bewusstsein war nur für ein Universum ausgelegt, sagte er sich. Wie lang sollte das noch so weitergehen? Er war erschöpft, verärgert und verwirrt.
»… Warte.«
Er hielt inne. Er war aus dem Portal auf einen neuen anonymen Regolithboden gesprungen. Sie lag in seinen Armen, und er spürte ihr Gewicht kaum. Er schob ihr Sonnenvisier hoch und schaute ihr ins Gesicht.
»Emma?«
Sie leckte sich die Lippen. »Schau. Dort oben.«
Es war keine Galaxis zu sehen, aber ein Sternenhimmel. Die Sterne sahen nun normal aus. Aber er hatte gelernt, dass das nichts heißen musste. »Na was?«
Emma hob den Arm und wies auf die besagte Stelle. Er sah drei Sterne, trübe weiße Punkte, in einer Reihe. Und sie wurden von einem Rechteck aus Sternen eingerahmt – einer davon in einem auffälligen Rot –, und dahinter war etwas, das aussah wie die Scheibe einer Galaxis oder vielleicht auch nur ein Nebel…
»Das ist doch …«, sagte er.
»Es muss viele Universen wie unseres geben«, flüsterte sie. »Aber es gibt, weiß Gott, nur einen Orion.«
Und dann schwappte Licht, gleißend und unerträglich hell, über den nahen Horizont.
Es war ein Sonnenaufgang. Er spürte die Wärme sogar durch die Schichten des Anzugs. Das aufsteigende Licht warf scharfe Schatten, die die schmalen Spalten und Krater klar konturierten. Und da war noch ein länglicher, gleichmäßig gerippter ›Krater‹.
Es war ein Fußabdruck.
Er machte einen Schritt nach vorn, hob den Fuß und stellte ihn in den Abdruck. Als er den Fuß wieder hob, hatte die Stiefelsohle kein Regolithkörnchen verschoben.
570
Es war sein eigener Fußabdruck. Gütiger Gott. Nach hundert Universen der Stille und Dunkelheit, Universen aus trübem Licht und Schatten, war er wieder an dem Punkt angelangt, von dem aus er aufgebrochen war.
Er schaute auf Emma hinab. Im Sonnenlicht, das über ihr Gesicht spielte, hatte sie die Augen aber schon wieder geschlossen.
Sanft klappte er ihr Sonnenvisier herunter. Es reflektierte das Licht in allen Farben des Spektrums.
Maura Della:
Der Robot-Bus fuhr in Schlangenlinien über den gefalteten Boden von Tycho.
Maura schaute fasziniert auf den graubraunen Boden, den schwarzen sternenlosen Himmel und eine leuchtend blaue Erde, die voll und rund war wie eine blau marmorierte Bowling-Kugel.
In den Tälern ragten glatte Felswände um sie herum auf und blendeten die Erde und die Details der Landschaft aus. Als Schatten auf den Bus fiel, kühlte er sich schnell ab, und sie hörte das Knacken der sich zusammenziehenden Hülle. Irgendwo sprangen Lüfter an, um die Luft zu erwärmen. Aber Licht gab es noch, selbst auf dem Boden der Mond-Schluchten: Es wurde nicht von der Luft gestreut, denn es gab hier keine Luft, sondern vom Gestein an der Oberkante der Täler reflektiert.
Die vom Mondstaub und Beschlag befreite Plexiglas-Kuppel war kristallklar, und sie hatte förmlich das Gefühl, sich außerhalb des Busses zu befinden und über dem Mondboden zu hängen. Sie sah tiefe Spuren im Staub, in denen der Bus nun wie auf Schienen fuhr. Der Boden war locker, brüchig und mit winzigen Kratern
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