Das Multiversum 2 Raum
bisher versucht, tiefer als ein paar Dutzend Meter zu graben.
Also mussten Frank und Xenia bei Null anfangen und nicht nur einen industriellen Prozess neu erfinden, sondern auch die Rolle, die die Menschen dabei spielten. Sie würden einen Petrophysiker und einen Bergbauingenieur brauchen, um die Orte zu bestimmen, an denen die mutmaßlichen Reservoirs mit flüchtigen Stoffen sich mit größter Wahrscheinlichkeit befanden; sie brauchten Lagerstätten-Ingenieure, Bohr-Ingenieure und Produktions-Ingenieure für die Knochenarbeit am Bohrloch; und sie brauchten Bau-ingenieure für die Oberflächen-Operationen und Logistiker. Und so weiter. Sie mussten Anforderungsprofile erstellen, Personal ein-stellen und nach besten Kräften schulen.
Und die Ausrüstung musste auch neu erfunden werden. Weil es keine Luft zur Wärmeabfuhr gab, musste die Ausrüstung mit gro-
ßen Kühlrippen versehen werden. Sogar die Veredelung – die An-reicherung von unklassiertem Material zu qualitativ hochwertigem Erz – war schwierig, weil man die herkömmlichen Methoden wie Schaumschwimmaufbereitung und nassmechanische Aufbereitung hier nicht anwenden konnte. Es musste mit Methoden auf der Grundlage elektrostatischer Kräfte experimentiert werden. Wasser gab es natürlich auch nicht – ein Paradoxon, denn die meisten Fördertechniken, die auf der Erde über Jahrhunderte entwickelt worden waren, beruhten primär auf dem Einsatz von Wasser für 327
Kühlung, Schmierung, die Bewegung und Trennung von Materiali-en und die Lösung und das Ausfällen von Metallen. Es war ein Teufelskreis.
Es traten weitere Probleme auf, als man schwere Ausrüstung im Vakuum des Mondes erproben wollte.
Die Reibung war extrem. In einer Atmosphäre wurde jede Oberfläche mit einer dünnen Schicht aus Wasserdampf und Oxiden überzogen, die Reibung verringerte. Nicht so hier. Das Vakuum verursachte sogar Schweißungen, gleitende Teile fraßen sich im Nu fest. Und nicht nur das, der allgegenwärtige Staub – die messer-scharfen Reste vorzeitlichen zertrümmerten Gesteins – klebte überall und wirkte wie Schmirgel. Das Material verschliss im Zeitraffer-tempo auf der Oberfläche des Mondes.
Aber sie gaben nicht auf und lösten die Probleme. Sie fanden alte Beschreibungen, wie man in der Vergangenheit vorgegangen war, als die MondJapaner die Kuppelstädte errichtet hatten. Sie gingen zur Modularbauweise über, wobei ein Arbeiter im Raumanzug die Teile leicht auszuwechseln vermochte. Die Verschleißteile wurden mit ›Schonern‹ aus flexiblem Kunststoff ummantelt, um den Staub abzuweisen. Nach langem Herumexperimentieren entschied man sich für die Verwendung eines Schmiermittels und überzog die Tragflächen mit einer harten, dichten und sehr glatten Substanz, die Mondjapaner-Ingenieure als Quasiglas bezeichneten.
Die Arbeit nahm sie bald voll in Anspruch, und Xenia engagierte sich auch.
Die MondJapaner hatten sich nach Generationen an ihre Kuppeln gewöhnt. Einen Mond ohne Dächer vermochten sie sich überhaupt nicht vorzustellen. Nachdem das Projekt einmal gestartet war, legten sie sich aber ins Zeug und entwickelten eine beachtliche Kreativität bei der Lösung der Probleme. Und Xenia hatte den Eindruck, dass erstaunlich wenig Zeit vom Start bis zu dem 328
Tag verstrichen war, an dem Frank ihr sagte, dass er den Ort für die Bohrung ausgewählt hätte.
»Der größte und tiefste Einschlagkrater im abgefuckten Sonnensystem«, sagte er stolz. »Neun Kilometer unterhalb der Datums-grenze und ganze dreizehn Kilometer unterhalb des Ringwalls, Teufel, auf dem Grund dieses Kraters wären wir schon auf halber Strecke zum Kern. Und das Beste daran ist, wir haben Zugriff darauf. Es hat sich niemand mehr dort rumgetrieben, seit das letzte Eis aus der Kältefalle gekratzt wurde …«
Er meinte den Südpol des Monds.
■
In einen Spinnennetz-Druckanzug gehüllt verließ Xenia das Fahrzeug.
Der Pol des Mondes war ein Ort der Schatten. Die Spitze der fahlen Erdsichel stach über den Horizont. Xenia, die auf dem Grund des Kraters namens Amundsen stand, sah sogar die Sonne, die als Lichtbahn durch eine Lücke im Ringwall brach und lange tiefe Schatten auf den farblosen zerklüfteten Boden warf. Sie wusste, dass, wenn sie für einen Monat hier blieb, dieser Sonnen-Such-scheinwerfer durch die gemächliche Rotation des Monds den ganzen Horizont bestreichen würde. Aber das Licht war schon trüb wie ein endloser Sonnenauf-oder -Untergang.
Und in der Mitte von Amundsen lag
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