Das Multiversum 2 Raum
Franks Bohrstelle im Widerschein des Sonnenlichts. Der Komplex war hässlich und wimmelte von Leuten.
Xenia hatte noch nie einen Mondspaziergang unternommen, kein einziges Mal. Die wenigsten Leute taten das. Der Import von Wolfram war zum Erliegen gekommen, und das Metall war zu wertvoll, um es zu Freizeitanzügen zu verarbeiten. Außerdem war 329
die Wasser-und Luftverschwendung beim An-und Ausziehen von Druckanzügen nicht zu vertreten. Und so weiter. Auf dem Mond des Jahres 2190 hielten die Menschen sich in ihren Kuppeln auf, fuhren in luftdichten Fahrzeugen oder krochen durch Tunnels, während der authentische Mond hinter den Fenstern so unzugänglich war wie vor Apollo.
Diese Vorstellung – die engen Grenzen, die ihnen gezogen waren – verursachte Xenia sogar noch größeres Unbehagen als der Kollaps der Erde und bestärkte sie in ihrem Entschluss, bei Frank zu bleiben; auch wenn sie Zweifel hinsichtlich seiner Ziele und Methoden hegte.
Und da kam Frank auch schon in seinem Raumanzug. An der ›Spiderman‹-Montur aus mondjapanischer Fertigung prangte ein Sternenbanner. »Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst«, sagte er.
»Es gab noch viel Papierkram und Genehmigungen auf den letzten Drücker …«
»Das Beste hast du vielleicht verpasst.« Er war gereizt, nervös und rastlos; die Augen hinter dem goldgetönten Visier schweiften über die trostlose Landschaft. »Komm und schau dir den Bohrturm an!«
Zusammen hopsten sie an Franks Sicherheitspersonal vorbei auf die Mitte der Anlage zu.
New Dallas, Franks Boomtown, war eine Ansammlung von Ge-bäuden, die im Stil von Lehmhütten aus Mondbeton-Blöcken gemauert waren. Es war hier ziemlich hell; das Sonnenlicht wurde von Heliostaten in den Krater gelenkt, große Spiegel, die auf dem Ringwall und auf großen Ständern montiert waren. Die Heliostaten wirkten wie riesige Flutlichter, die der Ansiedlung die Anmutung eines Sportstadions verliehen. Die Energie wurde auch überwiegend von der Sonne bezogen, und zwar durch Sonnenkol-lektoren, mit denen Frank den Ringwall verkleidet hatte.
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Sie sah Werkstätten, Lagerhäuser, Mannschaftsunterkünfte, Ge-meinschaftshäuser. Es gab einen Fuhrpark mit Gleitern, Zugmaschinen und schwerem Gerät, die um Brennstofftanks gruppiert waren. Die bewohnten Gebäude waren zum Schutz vor der Strahlung mit ein paar Metern Regolith überhäuft worden. Und dort war Franks ›Mondwärme‹-Kraftwerk – betriebsbereit. Zwischen den quaderförmigen Gebäuden schlängelten sich dicke Kabel.
Der Boden war im Umkreis von ein paar Kilometern von Fuß-
abdrücken und Fahrzeugspuren gezeichnet. Es war kaum zu glauben, dass vor zwei Monaten noch nichts davon existiert hatte und dass die einzigen Anzeichen menschlicher Präsenz die verlassenen Tagebaufelder in den Kältefallen gewesen waren.
Und im Zentrum erhob der Bohrturm für Tiefbohrungen sich so hoch über den Boden, dass er das schräg einfallende Sonnenlicht reflektierte – so hoch, dass das Bohrrohr aus drei oder gar vier Röhren zusammengesteckt werden musste. Die Stangen bestanden aus einer Magnesiumlegierung und stapelten sich in der Nähe in einer Gesamtlänge von ein paar Kilometern – wobei die aus Monderz gefertigten Stangen noch die billigsten Teile der ganzen Operation waren. Baracken und Werkstätten drängten sich um den Bohrturm, dazu große Aluminiumtanks und Generatoren. Ge-steinshügel, die von Testbohrungen stammten, zogen sich wie Pyramiden um den Turm.
Sie erreichten die Bohrplattform. In der Mitte befand sich die runde Platte, durch die das Gestänge geschoben wurde und die den Bohrer durch Rotation in den Boden treiben würde. Es gab Gießereien, um Kabel und Rohre zu fertigen und Trommeln, um die Kabel aufzuwickeln: Stromkabel, Lichtwellenleiter-Röhren, Hohl-stangen für Luft, Wasser und Probengewinnung.
Der Bohrturm ragte groß und stumm wie der Startturm einer Saturn V empor. Sterne schienen durch die Streben hindurch. Und 331
am Ende des ersten Rohrs sah sie den Bohrkopf mit Zähnen aus Wolfram und Diamant, die im Licht der Heliostaten funkelten.
Frank hielt ihr einen technischen Vortrag, der sie aber nicht interessierte. »Weißt du, ein Bohrgestänge kann nicht länger als ein paar Kilometer sein. Deshalb müssen wir eine Schrämmaschine einsetzen …«
»Frank, eta očen krasiva. Es ist großartig. In Landsberg hätte ich das gar nicht für möglich gehalten.«
»Es ist absolut möglich«, sagte Frank angespannt. »Solang es
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