Das Multiversum 2 Raum
Brind, und er war eine Legende aus der Vergangenheit. Und auf sie wirkte er total einschüchternd.
»Wir müssen raus zum Sonnenbrennpunkt«, sagte er anstelle einer Begrüßung.
»Hallo, guten Morgen, freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, danke, dass Sie mir Ihre Zeit widmen«, sagte sie trocken.
Er wich ein Stück zurück und richtete sich auf. »Es tut mir Leid«, sagte er.
»Schon gut. In Ihrem Alter hat man keine Zeit zu verlieren.«
»Nein, ich bin nur ein ungehobelter Klotz. Immer schon gewesen. Darf ich mich setzen?«
»Erzählen Sie mir vom Sonnenbrennpunkt«, sagte sie.
Er nahm einen Stapel Folien vom anderen Stuhl – aus dem Pinsel eines begnadeten Künstlers stammende Impressionen einer ge-planten, wegen fehlender Finanzierung jedoch niemals durchgeführten unbemannten Mission zum Jupitermond Io. »Ich spreche von einer Mission zum Sonnenbrennpunkt von Alpha Centauri – dem nächsten Sternensystem.«
»Ich weiß über Alpha Centauri Bescheid.«
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»Ja … Das Schwerefeld der Sonne wirkt wie eine sphärische Linse, die die Intensität des Lichts eines fernen Sterns verstärkt. Im Brennpunkt, draußen am Rand des Systems wird eine Verstärkung mit einem Faktor von ein paar Hundert Millionen erzielt. An der richtigen Stelle wäre es möglich, über interstellare Distanzen zu kommunizieren, wobei eine Ausrüstung genügen würde, die man für die Verständigung zwischen Planeten braucht. Die Gaijin benutzen den Centauri-Sonnenbrennpunkt vielleicht als Kommuni-kationsknotenpunkt. Die Wissenschaftler bezeichnen das als einen Sattelpunkt. Und jeder Stern hat einen eigenen Sattelpunkt. Alle haben in etwa den gleichen Radius, weil …«
»In Ordnung. Und wieso sollen wir zum Brennpunkt von Alpha Centauri fliegen?«
»Weil Alpha die erste Quelle extrasolarer Signale war. Und weil die Gaijin dort sind. Wir haben Hinweise darauf, dass die Gaijin das System am Alpha-Sonnenbrennpunkt betreten haben. Von dort haben sie eine Flotte von Bau-oder Schürf-Raumfahrzeugen in den Asteroidengürtel geschickt. Sally, wir haben Infrarot-Signaturen, die eine zehnjährige Aktivität im Asteroidengürtel belegen.«
»Es ist schon eine unbemannte Sonde zum Asteroidengürtel unterwegs. Vielleicht sollten wir ihre Ergebnisse abwarten.«
»Eine private Initiative«, echauffierte Malenfant sich. »Ist jedenfalls völlig irrelevant. Der Sonnenbrennpunkt – dort spielt die Musik.«
»Aber Sie haben keine unmittelbaren Beweise für besondere Vor-kommnisse am Sonnenbrennpunkt, oder?«
»Nein. Nur das, was wir aus den Daten aus dem Asteroiden-Gürtel gefolgert haben.«
»Es gibt aber keine Signatur eines großen interstellaren Mutterschiffs dort draußen am Rand. Es müsste jedoch eins geben, wenn Sie recht hätten.«
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»Alle Antworten habe ich auch nicht parat. Deshalb müssen wir gerade dorthin gehen und nachsehen. Und die verdammten Gaijin auf uns aufmerksam machen.«
»Ich wüsste aber nicht, wie ich Ihnen dabei helfen könnte.«
»Das ist doch die NASA-Abteilung für die Erforschung des Sonnensystems. Richtig? Und nun werden Sie diesem Auftrag mal gerecht.«
»Die NASA existiert nicht mehr«, sagte sie. »Jedenfalls nicht mehr in der Gestalt, in der Sie sie kannten, als Sie noch Raumfähren flogen. Das JSC befindet sich heute in der Zuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums …«
»Kommen Sie mir nicht so, Mädchen.«
Sie seufzte. »Ich bitte um Entschuldigung. Aber ich glaube, Sie müssen das realistisch sehen, Sir. Wir leben nicht mehr in den Sechzigern. Ich bin im Grunde nur ein Kurator der grauen Litera-tur.«
»Grau?«
»Studien und Vorlagen, die niemals in die Praxis umgesetzt wurden. Der Kram ist schlecht archiviert; ein Großteil ist noch nicht digitalisiert, ja nicht einmal auf Mikrofilm aufgenommen … Dieses Gebäude ist schon siebzig Jahre alt. Ich würde wetten, dass es dichtgemacht würde, wäre da nicht das Mondgestein.«
Das stimmte; in diesem Gebäude lagen fünfzig Prozent der alten Apollo-Proben noch immer in den versiegelten Proben-Behältern und harrten nach sechzig Jahren noch immer der Analyse. Wo nun Japaner auf dem Mond lebten, glaubte Brind, dass die Boxen bis in alle Ewigkeit hier gelagert würden, und sei es nur zu dem Zweck, als Proben des Mondes zu dienen, wie er sich im ›jungfräulichen‹ Zustand vorm Eintreffen der Menschen dargestellt hatte.
Ein ironisches Schicksal für diese Milliarden Dollar teuren Gesteinsbrocken.
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»Das weiß ich auch«, sagte er.
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