Das Multiversum 2 Raum
scheint zu belegen, dass wir im Grunde genommen auch nur Maschinen sind – nicht mehr als die Summe unsrer Teile. Viele religiöse Glaubenssätze werden durch diese einfache Tatsache infrage gestellt.«
Sie horchte in sich hinein. »Ich bin noch immer Madeleine. Ich habe noch immer ein Bewusstsein.« Aber das würde ich sowieso glauben, sagte sie sich dann. Vielleicht bilde ich mir auch nur ein, dass ich ein Bewusstsein habe.
Der blütenförmige Schlund zapfte prallvolle Taschen mit ioni-siertem Gas an, und das Schiff stob nur so dahin; das Universum bekam eine Art philosophischen Überbau.
»Ich verstehe aber nicht, weshalb der Sattelpunkt nicht an der Peripherie war wie im Sonnensystem.«
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»Meacher, die gravitationale Karte dieses Doppelstern-Systems ist viel komplexer als die der Sonne. In der Nähe der Punkte des gravitationalen Gleichgewichts des Systems gibt es jeweils einen Sonnenbrennpunkt. Wir sind aus L4 herausgekommen, dem stabilen Lagrange-Punkt, der dem Neutronenstern im Orbit voraneilt, und dorthin müssen wir auch zurückkehren.«
»Es muss aber noch weitere Brennpunkte geben, und zwar am Rande des Systems. Andere Sattelpunkte, deren Benutzung viel sicherer wäre.«
»Logo.« Der virtuelle Frank grinste. »Sie müssen jedoch bedenken, dass die Gaijin keine Menschen sind. Sie scheinen ihrer Technik blind zu vertrauen, ihrer Abschirmung sowie der Zuverlässigkeit und Kontrolle der Staustrahltriebwerke. Wir müssen davon ausgehen, dass die Gaijin wissen, was sie tun …«
Madeleine wandte sich den Konsolen zu. Auf den Monitoren sah sie, dass Daten empfangen wurden, und zwar in Form von Wasserstoff-Alpha-Emissionen, ultravioletten Spektrallinien, Ultraviolett-und Röntgenbildern, einer Spektrogtaphie der aktiven Regionen, Zodiakallichtern und Spektroheliographen. Sie besann sich auf die theoretische und praktische Ausbildung und machte sich an die Routineaufgaben, und bei der Arbeit verflogen bald die düsteren Gedanken.
»Meacher. Schauen Sie nach vorn.«
Sie griff zum Periskop und schaute auf den näherkommenden Horizont – über dem es dämmerte. Eine Dämmerung auf einem Stern?
Eine feurige Lohe schoss über den Horizont auf sie zu. Sie senkte sich in einem großen Bogen zur Oberfläche des Sterns hinab, wobei die zertrümmerten Atome vom Magnetfeld des Sterns eingefangen wurden – und ein paar Sekunden später kam schon die nächste Welle, und dann wieder eine in tödlich regelmäßigen Intervallen. Und der Gluthauch des Plasmas wurde immer heißer.
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»Mein Gott, Frank.«
»Der Aufgang eines Neutronensterns«, sagte Paulis sanft. »Schauen Sie hin. Schauen Sie zu und lernen Sie. Und merken Sie es sich, für uns alle.«
Der Neutronenstern erschien nun über dem Horizont und erhob sich hochmütig über die Oberfläche seines Begleiters. Sie waren nur durch eine Lücke voneinander getrennt, die ein Drittel der Entfernung zwischen Erde und Mond ausmachte. Der Primärstern schwoll wie eine Springflut an, als der Neutronenstern an ihm vor-
überzog und eine flammende Gassäule herausriss, deren Durchmesser an der engsten Stelle nur ein paar hundert Meter betrug.
Große Brocken glühenden Materials lösten sich und wirbelten spiralförmig auf einen zentralen Punkt zu, einem winzigen Objekt von einer so unerträglichen Helligkeit, dass das Periskop automatisch einen Filter vorschaltete.
Und dann erfolgte die Explosion.
Schwärze.
Madeleine zuckte zusammen. »Was, zum Teufel …«
Das intelligente Teleskop hatte abgeblendet. Langsam wich die Dunkelheit einer Trümmerwolke, in der der Neutronenstern beschaulich seine Bahn zog.
»Das ist ein Gammastrahler«, sagte Paulis trocken.
Die Materiehülle um den Neutronenstern baute sich schon wieder auf.
Blitz.
Das Periskop dunkelte wieder ab.
»Sie werden sich daran gewöhnen«, sagte Paulis. »Es tritt pünkt-lich alle vierzehn Sekunden auf. Dieser Gammastrahlen-Blitz ist so hell, dass man ihn sogar auf der Erde sieht.«
Sie schaute auf die Instrumente. Die Rohdaten, die in einem steten Strom hereinkamen, sagten ihr nichts.
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»Paulis, ich bin keine Expertin. Sagen Sie mir, was hier läuft. Die Materie des Primärsterns …«
Blitz.
»… verschmilzt, wenn sie auf den Neutronenstern trifft, richtig?«
»Ja. Der Wasserstoff des Primärsterns fusioniert beim Kontakt mit der Oberfläche des Neutronensterns zu Helium. In wenigen Sekunden überzieht das Helium die Kruste mit einer Art von Atmosphäre, die ein paar Meter dick
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