Das Multiversum 2 Raum
Sie drückte die Nase ans kühle Glas und schaute hinaus. Die Gaijin schwärmten wie Metallkäfer mit eckigen Bewegungen der Gliedmaßen über die Hülle des Blumen-Schiffs aus. Sie sah, dass sie verschmolzen und sich in ein aufgewühltes, wogendes metallisches Meer verwandelten.
»Die Gaijin scheinen … von dieser Idee angetan zu sein«, sagte Paulis zurückhaltend.
Sie wartete, während er die Daten an die Gaijin übertrug.
»Sie sind einverstanden, Meacher. Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun«, sagte er.
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»Ich auch, Frank. Ich auch.«
Die Gaijin öffneten die Blüten des Blumen-Schiffs, und Madeleine flog wieder um die Säule aus Sternenmaterie herum.
■
Der UN-Sattelpunkt war kaum eingerichtet und betriebsbereit, als er schon erstaunliche Resultate zeitigte.
Das Tor war an der schmalsten Stelle der Säule aus heißem Wasserstoff positioniert worden, die aus dem Primärstern gerissen wurde. Das im Dauerbetrieb arbeitende Tor loderte in einem gespen-stischem Blau. Mindestens fünfzig Prozent des Wasserstoffs des Primärsterns verschwanden laut Paulis' Aussage im Schlund des Teleportations-Tors. Es sah so aus, als ob die Wasserstoff-Säule von einem kosmischen Gärtner ordentlich gestutzt worden wäre und oben flach abschloss.
»Gut«, sagte Madeleine. »Es hat funktioniert … Wir bewegen uns wieder.« Sie schaute durchs Periskop.
Das Schiff näherte sich dem Neutronenstern. Die rötliche Oberfläche des Sterns funkelte, als überschüssige Materie in seine Gravitationsquelle stürzte. Und wieder strömten die sechseckigen Muster über die Oberfläche des Sterns – doch dann schienen die Flechten nach etwa zehn Sekunden plötzlich anzuhalten, als ob sie die Vernichtung erwarteten.
Als das Fusionsfeuer dann doch nicht aufloderte, schienen die Kreaturen geradezu erleichtert und erschlossen sich neue Teile ihrer Welt.
Erst wurde ihr Wachstum noch von einem Vierzehn-Sekunden-Zyklus bestimmt, der aber bald in der überschwänglichen Komplexität ihrer Existenz unterging. Die Flechten breiteten sich entlang der magnetischen Flusslinien aus und formten ihre Sternen-Welt 178
schnell um; weite Teile der Oberfläche wechselten ihre Farbe und Struktur.
Es war ein unglaublicher Anblick.
Sie war erregt. Die Daten, die sie zurückschickte, würden die Wissenschaftler jahrzehntelang beschäftigen. Vielleicht fühlen die Eierköpfe sich auch so, wenn sie eine Entdeckung gemacht haben, sagte sie sich.
Oder wenn ein Gott die Hand im Spiel hatte.
… Dann hörte das Wachstum plötzlich auf.
An den Rändern fing es an; die Flechten-Kolonien zogen sich in ihr Kernland zurück. Und dann änderte die Farbe der Muster sich in einem breiten Spektrum, verblasste, und die nächste sechseckige Struktur wurde chaotisch.
Die Bedeutung war offensichtlich. Der Tod suchte den Stern heim.
»Frank. Was ist dort los?«
»Damit habe ich gerechnet«, sagte die Schnittstellen-Metapher.
»Haben Sie?«
»Ein paar Projektionen haben das mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt. Meacher, die Flechten sind ohne den Fusionszyklus nicht lebensfähig. Unsre Intervention aus dem Orbit war zu viel des Guten. Anthropozentrisch eben. Vielleicht sind die Bedürfnisse der kleinen Geschöpfe dort unten doch nicht so gering, wie wir glaubten. Was, wenn der Fusionszyklus auf eine uns unbekannte Art und Weise für ihr Wachstum und Leben notwendig ist?«
Der Fusionszyklus hatte Schichten komplexer Moleküle an die Oberfläche befördert. Vielleicht war der kristalline Boden darauf angewiesen, dass er von diesem Fusionssommer regelmäßig gereinigt und gedüngt wurde. Wie das Artensterben auf der Erde eine verstärkte Biodiversifizierung in den Gemeinschaften bewirkt hatte, die von den Überlebenden abstammten.
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Und Madeleine hatte das alles zerstört. Ein Schuldgefühl drohte sie zu überwältigen.
»Nehmen Sie es nicht zu schwer, Madeleine«, sagte Paulis.
»Verdammt«, sagte sie. »Ich bin ein Pfuscher.«
»Ihre Beweggründe waren ehrenhaft. Es war einen Versuch wert.«
Er schenkte ihr ein virtuelles Lächeln. »Ich verstehe, weshalb Sie es getan haben. Auch wenn der echte Frank es vielleicht nicht verstehen würde … Ich glaube, dass wir auf dem Rückflug sind, Meacher. In ein paar Minuten werden wir am Lagrange-Punkt sein. Bereiten Sie sich darauf vor.«
»Danke.« Gott sei Dank. Schaff mich hier raus.
Ein paar Minuten und achtzehn Jahre in die Zukunft …
»Und wissen Sie«, sagte Paulis, »die eigentlichen
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