Das Multiversum 2 Raum
Venusatmosphäre Brennstoff extrahiert hatte – wieder in den Orbit bringen.
Das Raumfahrzeug wirkte improvisiert und primitiv und im Vergleich zu den eleganten Schiffen der Gaijin unverkennbar menschlich. Nach der langen Reise verspürte Carole jedoch eine irrationale Zuneigung zu diesem Schiff. Schließlich war die Reise für beide nicht einfach gewesen. Die dicken Meteoritenschutz-Matten, mit denen die Hülle verkleidet war, waren vergilbt und mit winzigen Einschlagnarben übersät. Die Farbe war vom Sonnenlicht verblichen und hatte durch die Feuerstöße der Rückstoßdü-
sen Blasen geworfen. Der große Schirm hatte sich nicht richtig ge-
öffnet – eine Strebe war beim Öffnen gebrochen –, sodass das Schiff komplizierte Manöver hatte ausführen müssen, um sich in seinem Schatten zu halten.
Zuneigung, ja. Carole hatte aber darauf verzichtet, das Schiff zu taufen, ehe sie vom Mond gestartet war. Sie hatte das für eine Sentimentalität gehalten, eine Angewohnheit aus einer Vergangenheit, zu der sie keinen Bezug hatte. Nun bedauerte sie es.
»… Kein Wunder, dass wir den Mond übersehen haben«, sagte Nemoto. »Er ist klein und leicht und bewegt sich auf einer Umlaufbahn, die noch weiter und elliptischer als Ihre ist, Carole.
Außerdem bewegt er sich in Gegenrichtung. Und die Bindung ist 203
nur schwach; energetisch fehlt nicht viel, und er löst sich von der Venus …«
Sie richtete den Blick auf den kleinen Mond. Er war eine annähernde Kugel mit einem Durchmesser von nur hundert Metern.
Die dunkle, staubige Oberfläche war mit Kratern übersät.
Carole wusste, dass sie nicht die Kontrolle über diese Mission hatte – nicht einmal nominell. Allerdings war sie diejenige, die hier war und die Venus umkreiste. »Sind Sie sicher, dass das nötig ist, Nemoto? Ich bin wegen der Venus hergekommen, nicht deswegen.«
Aber Nemoto hatte die Frage natürlich nicht gehört.
»… Vielleicht ein eingefangener Asteroid? Das würde den Orbit erklären. Andererseits ist die Form zu regelmäßig. Und die Kraterbildung ist auch begrenzt. Wie alt? Weniger als eine Milliarde Jahre, mehr als fünfhundert Millionen. Und es gibt eine Anomalie bezüglich der Dichte. Deshalb … äh … Aber was heißt nötig? Sie haben sogar jetzt noch eine üppige Brennstoffreserve, mehr als genug, um Sie nach Hause zu bringen. Und wir sind nicht nur aus rein wissenschaftlichen Gründen hier, sondern um Anomalien zu untersuchen. Schauen Sie sich dieses Ding an, Carole. Dieses Objekt ist zu klein und zu symmetrisch, um natürlichen Ursprungs zu sein. Und wegen der niedrigen Dichte muss es hohl sein.
Carole, das ist ein Artefakt. Und es umkreist die Venus schon seit ein paar hundert Millionen Jahren. Das ist die Bedeutung.«
■
Sie streckte die Hände zum herannahenden Mond aus.
Es gab keine spürbare Schwerkraft. Sie hatte nicht das Gefühl, auf die Oberfläche einer Welt zu springen, sondern auf eine dunkle staubige Wand zuzutreiben.
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Als sie mit den Handschuhen auftraf, verdichtete eine dünne Staubschicht sich unter den Fingerspitzen. Der sanfte Druck ge-nügte, um sie abzubremsen, und dann stieß sie auf eine harte Gesteinsschicht.
Staubkörner hüllten die Hände in eine glitzernde Wolke. Zum Teil blieb der Staub an den Handschuhen und beschmutzte das saubere silberne Gewebe, zum Teil driftete er davon, ohne dass die Schwerkraft dieses merkwürdigen Monds ihn zurückgehalten hätte.
Es war ein seltsam bewegender Moment. Ich bin hundert Millionen Kilometer weit gereist, sagte sie sich. Durch den weiten, leeren Raum. Und nun bin ich angekommen. Ich berühre diesen Trüm-merbrocken. Vielleicht fühlen alle Reisenden sich so, sagte sie sich.
Zeit, an die Arbeit zu gehen, Carole.
Sie nahm einen Felshaken, den sie im Schiff aus Bolzen improvisiert hatte, vom Gürtel. Mit einem Geologenhammer, der eigentlich für den Einsatz auf der Venus vorgesehen war, trieb sie den Haken in den Boden. Dann befestigte sie eine Leine am Felshaken.
»Es sieht aus wie Mondstaub«, meldete sie der entfernten Nemoto. Sie nahm eine Bodenprobe und unterzog sie in einem tragbaren Labor einer schnellen Analyse. Dann hielt sie das Labor über das blanke Gestein und verdampfte mit dem Laserstrahl ein kleines Stück, um anhand des Farbspektrums des Gesteinsnebels seine Zusammensetzung zu bestimmen.
Dann steckte sie von ihrem Standort aus eine Linie ab und arbeitete sich über die Mulden und Erhebungen dieser zerklüfteten, stark gekrümmten
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