Das Multiversum 3 Ursprung
von ihnen erwischte. Aber die Eiferer waren auch listig und gerissen: Sie vermochten selbst den stärksten Ham aufs Kreuz zu legen. Man ging ihnen am besten aus dem Weg.
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Also brach Joshua allein auf und ging auf dem Ziegenpfad, der sich in einer Rinne serpentinenförmig zum Wald auf der Klippe hinaufschlängelte.
Der Aufstieg war leicht, doch schon bald drehte er sich um. Die Einsamkeit machte ihm zu schaffen und vermittelte ihm das Ge-fühl, dass er überhaupt nicht existierte. Die Leute auf der Grauen Erde brauchten nichts so sehr wie Gesellschaft.
Die Kunde von seinem Vorhaben hatte sich aber durch Klatsch und Tratsch in der Hütte verbreitet. Ein paar Tage später begegnete ihm zu seinem Erstaunen die junge Mary, die ihn über die Klippe, den Wald und den seltsamen Himmelssamen ausfragte.
Und am nächsten Tag schloss sie sich ihm zu seinem noch grö-
ßeren Erstaunen als Reisebegleiterin an.
Sie redete unaufhörlich auf dem Weg zur Klippe. »… Ruth sagt Abel dürr wie ein En'lischer. Un' Ruth erzählt das Miriam. Un'
Miriam erzählt Caleb, un' Caleb erzählt Abel. Un' Abel wirft Steine und Häute durch die ganze Hütte. Also Abel treibt's mit Miriam, und er erzählt das Caleb, und er sagt's Ruth. Und Ruth sagt's …«
Im Gegensatz zu ihm war sie keine Außenseiterin. Sie war voll in die kleine Gemeinschaft integriert. Er hingegen schien nicht einmal imstande, die Leute, die sie so lebendig beschrieb, zu sehen und zu hören.
Um so mehr wunderte es ihn, dass sie sich entschlossen hatte, ihn auf dieser für sie doch sinnlosen Wanderung zu begleiten.
Aber Mary befand sich gerade in einem wichtigen Abschnitt ihres Lebens und verspürte eine gewisse Wanderlust. Bald würde sie die Sicherheit der Feuerstellen, die ihre Mutter anlegte, verlassen und ihr Leben mit den Männern und Kindern teilen müssen, die folgen würden. Der Umzug von einer Seite einer Hütte zur anderen war eine weite Reise für jemanden wie Mary. Und weil der Mut der Verzweiflung sie zu diesem großen Abenteuer befähigte, schien 321
sie im Moment bereit, sich auf noch viel waghalsigere Dinge einzulassen.
Zu Joshuas großer Erleichterung hatte sie nicht mehr ihre Tage.
Während er vorsichtig zur Klippe aufstieg, war er froh, nicht durch Sinnenlust abgelenkt zu werden.
Sie erreichten die Oberseite der Klippe. Sie fanden einen mit hellgelben Früchten behängten Strauch und pflückten die Früchte.
Dann setzten sie sich nebeneinander auf die Kante der Klippe und ließen die Füße in der Luft baumeln. Stumm schauten sie nach Osten übers Meer.
Die Sonne stieg noch immer, und die stahlgraue gewellte Meeresoberfläche leuchtete in ihrem Widerschein. Die deutliche Krümmung der Welt wurde in Schichten purpurner Schäfchenwolken reflektiert, die über dem Meer hingen. Joshua sah, dass das Grasland, auf dem sie lebten, sich bis zum Meer erstreckte und in fahl-sandigen Dünen auslief. Nahe der geduckten braunen Form der Hütte liefen Leute umher. Sie waren winzig, aber deutlich zu erkennen. Sein Blick folgte Flüssen, leuchtenden silbernen Bändern, die zum Meer flossen.
Eine kleine Antilopenherde äste im Gras. Ein Tier schaute auf und schien ihn direkt anzusehen.
Joshua spürte, wie er sich auflöste und aus der Mitte des Kopfs an den Rand der Welt versetzt wurde. Da war keine Grenze um ihn herum, keine Schicht der Interpretation, Analogie oder Nostalgie; in diesem Moment war er die Ebene, das Meer und die Wolken, und er war die schlanke Rehgeiß, die zur Klippe hinaufschau-te, genauso wie er der untersetzte stille Mann war, der von oben hinabschaute. Für eine Weile war er auf eine Art und Weise eins mit der Schönheit der Welt, wie kein Mensch es nachzuvollziehen vermocht hätte.
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Dann zogen Joshua und Mary in stummer Übereinkunft die Beine unter sich an und standen auf. Seite an Seite gingen sie in den Wald.
Das grüne Dunkel war ein starker Kontrast zum hellen Meeres-blick. Es war kein angenehmer Ort.
Der von der salzigen Meeresluft durchwehte Wald war kühl, und es herrschte eine klamme Feuchtigkeit, die Joshua in die Knochen drang. Und der Waldboden war mit einem Wirrwarr aus Wurzeln, Ästen, Blättern und Moos bedeckt, so dass Joshua an manchen Stellen den eigentlichen Boden gar nicht mehr sah. Er rutschte aus, stolperte und brach geräuschvoll durchs Unterholz.
Mary zitterte und quengelte verängstigt. Joshua wickelte die Felle nur enger um sich und drang immer tiefer in den Wald ein.
Ein Schemen huschte nicht weit
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