»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)
nächsten Sitzung berichten. Dann gestand er, das sei Sache der Ölmultis und undurchsichtig. Ich war so unvorsichtig anzukündigen, das sei kein Problem, ich würde Kissinger anrufen. Der antwortete, er werde in wenigen Tagen Bescheid sagen. Das Ergebnis entsprach der Erkenntnis unseres Wirtschaftsministers. Nicht einmal die amerikanische Regierung hatte bei der globalen Verwaltung eines globalen Rohstoffs durch global agierende Konzerne den Durchblick. Es imponierte, dass die deutsche Regierung innerhalb von drei Wochen Gesetze änderte und vier autofreie Sonntage anordnete. Die Macht der multinationalen Gesellschaften warf die Frage nach der Gegenmacht auf. Sie ist auch vierzig Jahre später nicht beantwortet.
Unsere Situation fasste der Spiegel im Dezember 1973 deprimierend, aber treffend mit einer Titelstory zusammen: »Das Monument bröckelt«. Froh über das nahe Ende dieses unerfreulichen Jahres fragte ich Brandt nach seinem sechzigsten Geburtstag, wie er sich fühle. Vertraulich lächelnd antwortete er: »Nichts Entscheidendes hat sich geändert.«
Der Absturz
Entschlossen zu einem neuen Start kehrte der Chef am 24. April 1974 von einer Ägyptenreise und einem Besuch bei Staatspräsident Anwar as-Sadat zurück. Während des Fluges war das Revirement des Kabinetts besprochen worden. Seine Kraft war wieder da für Pläne bis ins nächste Wahljahr 1976. Beim Anflug auf den Köln-Bonner Flughafen schüttelte Brandt den Kopf über den »großen Bahnhof«, der uns erwartete: »So groß war unser Erfolg doch gar nicht.«
Innenminister Genscher begrüßte ihn mit der Mitteilung: »Heute früh haben wir Guillaume verhaftet. Er hat schon gestanden.« Ich erfuhr die Neuigkeit von Kanzleramtschef Grabert und erinnerte mich sofort an den Zettel, den ich seinem Vorgänger Ehmke auf dessen Bitte um Stellungnahme geschrieben hatte, ob er einen von Georg Leber und Herbert Ehrenberg empfohlenen Mann namens Günter Guillaume einstellen sollte, obwohl er aus der DDR gekommen sei. Auf meinen negativen Rat: »Auch wenn man dem Mann vielleicht unrecht tut, ist das Kanzleramt zu empfindlich«, hatte ich keine Antwort erhalten. Wenige Tage vor dem Ende der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag hatte sich Guillaume in meinem Büro vorgestellt. Geheimnisse gab es nicht mehr zu verraten. Mein Zettel lag, wie es sich für eine ordentliche Verwaltung gehört, bei den Akten. Als ich Ehmke darauf ansprach, erhielt ich die Antwort, aufgrund meiner Warnung hätte er Guillaume durch unsere Dienste so »durch die Mühlen drehen« lassen wie keinen Bewerber zuvor. Nachdem sich nichts Negatives ergeben habe, hätte er keinen Grund gehabt, ihn nicht einzustellen.
Wie Brandt in den folgenden Tagen seine Termine absolvierte, zeigte, wie wenig ernst er und seine Umgebung die Affäre nahmen. Wir betrachteten sie als Sensation, vielleicht als Skandal, aber nicht als bedrohlich oder als Krise. Tagelang existierte die Vokabel Rücktritt nicht. Nachdem Justizminister Gerhard Jahn ihn von Ermittlungen unterrichtet hatte, denen zufolge Guillaume ihm Frauen zugeführt habe, spottete Brandt nur: »Für wie potent halten die mich.« Selbst Ermittlungsunterlagen des Verfassungsschutzpräsidenten Günther Nollau, Vertrauter Wehners und Dresdner wie er, ließen ihn nur empört fragen, was in diesem Staat denn noch alles möglich sei. Es ging inzwischen weniger um den Spion, gegen den immer noch nichts Gerichtsrelevantes vorlag, als um die Erforschung des Privatlebens des Regierungschefs. Der konnte seine sich breitmachende Lethargie nicht überwinden und machte sich in seinen späteren »Notizen« zu dem Fall selbst Vorwürfe.
In Brandts Amtszimmer besprachen wir mit Scheel die Lage. »Herr Bundeskanzler, die Sache mit dem Spion, das reiten wir auf einer Backe ab.« Die FDP stehe zu ihm. Nun fehlte noch die zweite Backe. Ich empfahl Willy, alles davon abhängig zu machen, ob er sich der klaren Unterstützung Wehners sicher sein könne. Ohne den uneingeschränkten Rückhalt der eigenen Fraktion konnte er nicht Kanzler bleiben. Das würde sich Anfang Mai in Münstereifel entscheiden, nach dem vorgesehenen Gespräch der SPD-Spitze mit Gewerkschaftsführern. Am Abend davor sprachen Gaus und ich mit dem Chef über die Kabinettsumbildung und die Einrichtung der Ständigen Vertretung in Ostberlin. Danach spazierten wir auf der Straße und hatten das Gefühl, ohne bestimmbare Anhaltspunkte, dass Willy zur Aufgabe neige.
Für das Gespräch der beiden
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