Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
Vom Netzwerk:
starke, unverwechselbare Persönlichkeit. Verbunden waren sie in der Disziplin für die Partei. Ohne die drei konnte die Macht im Land und für das Land weder erweitert noch erhalten werden.
    Alle drei fühlten sich mit ihrer Vergangenheit im Reinen, obwohl Wehner und Brandt schändliche, innenpolitisch motivierte Angriffe erlebt hatten, die Schmidt vermeiden wollte. Von seinem jüdischen Großvater erfuhren wir erst durch seinen Freund Giscard d’Estaing. Der berichtete in seinen Erinnerungen von einem kurzzeitigen Kollaps, den Schmidt in Paris erlitten hatte. In der Sorge, er könne sterben, hatte er sich dem französischen Präsidenten anvertraut. Giscards Enthüllung, in die Schmidt eingewilligt hatte, blieb hierzulande ohne großes Echo. Der Kanzler konnte kein Interesse daran haben, seinen Lebenslauf mit der unseligen Geschichte des Antisemitismus in Verbindung zu bringen, die ein nicht endendes Thema zu sein scheint.
    Mit Brandts Rücktritt endete 1974 die Konstellation, die Partei- und Regierungsführung in einer Person vereint hatte. Die nun getrennten Funktionen schufen unterschiedliche Verantwortung. Diesen Balanceakt mussten beide, Brandt und Schmidt, erst lernen. Der Vorsitzende konzentrierte sich auf die Partei, die mit ihrer langen Geschichte jede Regierung überleben würde. Der Bundeskanzler konzentrierte sich – auf den Kanzler kommt es an – auf die nächste Bundestagswahl. Beide hatten recht und konnten die Spannungen, die sich daraus ergaben, nicht immer austarieren.
    In der Außenpolitik erwies sich das als relativ einfach. Schmidt entwickelte eigene Beziehungen zu Moskau, die seinem Stil entsprachen. Er musste seine Briefe an Breschnew selbst schreiben und mit Leo selbst reden und diskutieren. In der Folge sprach Leo mit Schmidt unvergleichlich länger als mit Brandt. Ich war völlig überrascht, als Schmidt bei einem der Treffen, bei denen ich immer anwesend war, plötzlich die Frage stellte, ob Moskau einverstanden sei, dass die Bundesrepublik einen Teil ihrer Währungsreserven von New York nach Moskau verlegen würde. Bis dahin hatte es solche unvorbereiteten Fragen an die sowjetische Spitze nicht gegeben. Das erwartete Ja beim nächsten Treffen registrierte Schmidt mit der Antwort, es sei noch nicht so weit. Unter vier Augen fragte ich ihn, ob ein solcher Schritt ohne das Einverständnis des Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl möglich wäre. Schmidt beschied, das solle nicht meine Sorge sein. Erst beim übernächsten Treffen übermittelte Leo die Frage des Generalsekretärs, was denn auf sein Ja nun zu erwarten sei. Schließlich habe er diese Frage dem Kanzler »nicht in die Zähne geschoben«. Danach wurde die Sache von beiden Seiten nicht mehr erwähnt.
    Beim zweiten Besuch Breschnews in Bonn 1978 waren die körperlichen und sprachlichen Behinderungen des Gastes nicht zu übersehen und zu überhören. Er hatte die freundliche Einladung Schmidts angenommen, ihn in seinem kleinen Hamburger Privatdomizil zu besuchen. In der Unterhaltung formulierte Schmidt, er habe ihn, Breschnew, »nie betrogen«. Das war gut gemeint und zielte auf Moskauer Zweifel, ob der Kanzler neue amerikanische Raketen in Europa wirklich verhindern wolle. Aber die Vokabel »Betrug« hatte es unter Brandt nie gegeben. Die feinfühligen Russen überhörten es nicht.
    Die guten Beziehungen zwischen Brandt und Breschnew »störten« nicht. Sie verliefen vertrauensvoll, zumal Willy zufrieden war, dass ich den »Kanal« für den Kanzler weiter betreute. Er hatte Schmidt darin bestärkt, mir das Entwicklungshilfeministerium zu übertragen. »Es kann ja nicht schaden, wenn da ein Erwachsener aufpasst.« Als Holger Börner im Herbst 1976 nach Wiesbaden geschickt wurde, waren sich der Parteivorsitzende und der Kanzler einig: Ich solle Bundesgeschäftsführer werden. Ungern-gern parierte ich. Immerhin war es ein Beweis ihrer Erfahrung, dass sie sich auf meine Loyalität verlassen konnten. Die Aufgabe, den Wahlkampf vorzubereiten, übernahm ich für eine Legislaturperiode bis 1980. Danach könne ich mir jedes Ministerium aussuchen, versprach Schmidt. So geriet ich, Prophete rechts, Prophete links, als Weltkind in die Mitte. Als Staatsminister im Kanzleramt hatte ich Hans-Jürgen Wischnewski empfohlen, eine wichtige Voraussetzung, um unnötige Spannungen zwischen Partei und Regierung zu verhindern, was nicht immer gelang.
    In der Außenpolitik ergaben sich überall dort Reibungen oder Konflikte, wo innen- und

Weitere Kostenlose Bücher