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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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Brandt hatte die Kollegen sprechen lassen und am Ende seine unglaubliche Fähigkeit gezeigt, eine Zusammenfassung zu formulieren, die als Beschluss von allen angenommen wurde. Das war seine Kunst, durch lockere Führung zu integrieren.
    Zu Sitzungen des Parteivorstandes erschien Schmidt mit dicken Mappen, die er abarbeitete, ohne sich in das »langweilige Gelabere« einzumischen. Als Brandt nach der Wahlniederlage 1983 durchsetzte, ein neues Parteiprogramm vorzubereiten, hielt er das für überflüssig. Anders als Union und FDP, die eigentlich gar kein Programm brauchten, war der Diskussionsprozess für die SPD zur Integration und Selbstvergewisserung unentbehrlich. Das Ergebnis kam dann 1989 in einer nach dem Fall der Mauer völlig veränderten Lage des Landes zur Entscheidung.
    Auf einen Anruf Slawas gegen Ende des Jahres 1979, es gebe eine wichtige und dringende Sache für den Kanzler, trieb ich Schmidt in seinem Ferienhaus am Brahmsee auf. Der reagierte vorweihnachtlich unwirsch. Ich holte Leo in Flensburg ab und brachte ihn zu Schmidt. Dort berichtete er: »Wir sind in Afghanistan einmarschiert. Eine Einheit ist auf dem Flugplatz gelandet und hat den Palast gestürmt. Es ist schon alles erledigt. Der bisherige Machthaber Amin ist tot. Der Nachfolger ist eingesetzt. Die Amerikaner müssen das längst wissen.« Schmidt erwiderte, es würde wohl viel Zeit vergehen, ehe der Staub sich gesenkt habe und erkennbar würde, wie die Welt dann aussieht. Er ließ Breschnew für diese frühzeitige Information über unseren Kanal danken. Als wir allein waren, äußerte er sichtlich gespannt: »Von unseren Freunden habe ich nichts gehört. Mal sehen, wann die sich melden.« Ein paar Wochen später, zu Besuch im State Department, erhielt ich keine Erklärung für dieses seltsame Verhalten der Amerikaner. Willys Kommentar: »Mich wundert, dass dich das wundert.«
    Eigentlich muss der Wahlkampf von der Parteizentrale aus geführt werden, aber unvermeidlich wurden wichtige Entscheidungen im Kanzleramt gefällt. 1980 sollte zwischen Schmidt und Strauß entschieden werden; das sollte nicht so schwer sein. Der erste Pfeiler unserer Strategie: Helmut Schmidt. Als zweiten Pfeiler konnten wir auf das Wissen verweisen, wie Entspannung gemacht wird. Dann aber sagte der Kanzler wegen der angespannten Lage in Polen ein vereinbartes Treffen mit Honecker ab. Ich erfuhr es aus dem Radio. Sofort triumphierte Strauß über das Scheitern der Entspannungseuphorie. Der erste Pfeiler reichte gerade noch für knappe 0,3 Prozent mehr als vier Jahre zuvor.
    Zwei Wochen vor dem Wahltag erhielt ich einen drei Seiten langen handgeschriebenen Brief Willys, der sich zu sehr an die Seite geschoben fühlte: »Dass eine für den Vorsitzenden und Dich vorgesehene Pressekonferenz durch eine mit dem Kanzler und Dir ersetzt wurde, lese ich aus Vermerken der insofern eigentlichen Wahlkampfleitung.« Als einer, der ja wirklich schon einmal Wahlen gewonnen hatte, fühlte er sich zurückgesetzt, auch was Plakate und Fernsehspots betraf. »Es wird nach dem 5. 10. zu einer Frage der Parteihygiene, ob ein Beamter oder ein Referent mehr zu sagen hat als der Vorsitzende. Das wird die Partei gegebenenfalls entscheiden … Lieber Egon, ich musste dies jetzt loswerden. Dein W.« Der Freund hatte seinen ganzen Frust bei mir abgeladen. Bei wem auch sonst? Er kam nie wieder auf diesen Brief zurück. Das war Willy: sensibel, nicht nachtragend, diszipliniert.
    Im November 1981 erlitt Helmut einen leichten Kollaps. Danach wollte ich unser Gespräch wieder aufnehmen, das wir vorher geführt hatten. Er machte große und verängstigte Augen. Er sei minutenlang ohne Bewusstsein gewesen und könne sein Kurzzeitgedächtnis nur reparieren, indem er Vorgänge aus den Akten neu lerne. Ich unterrichtete Willy sofort und fügte hinzu: »Wenn Helmut bei seinem Pflichtbewusstsein das nicht überwindet, wird er zurücktreten.« Willy befand: »Lass uns mal sehen, wie es nach den Feiertagen aussieht.«
    Mein Freund Günter Verheugen, inzwischen Generalsekretär der lädierten FDP, hatte mir seine Sorge mitgeteilt, dass unsere beiden Vorsitzenden ihr schwieriges Verhältnis in Ordnung bringen müssten. »Wenn nicht, wird die Koalition zerbrechen.« Ich vertröstete ihn, wir sollten nach einem ruhigen und hoffentlich erholsamen Jahreswechsel weitersprechen. Das erwies sich bald als nicht mehr erforderlich. Im September 1982 zerbrach die Koalition.
    Jahre später wurde bekannt, dass Brandt an seinen

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