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»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

»Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition)

Titel: »Das musst du erzählen«: Erinnerungen an Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Egon Bahr
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Reich. Niemandem fiel auf, dass von Demokratie wenig und von Menschenrechten überhaupt nicht die Rede war.
    In der Bundesrepublik wurde der Bericht als linkslastig empfunden oder gar diffamiert. Für die Sicherheit sorgten schließlich die Amerikaner, und die Mehrheit der Bevölkerung interessierte sich mehr für den wachsenden Reichtum als für eine wachsende Solidarität mit den Armen. 1985 erhielt Willy Brandt am Sitz der Vereinten Nation den Dritte-Welt-Preis. Mit dem Preisgeld konnte er die Gründung der Stiftung Entwicklung und Frieden in Bonn bewirken, deren Arbeit bis heute beachtet und geschätzt wird. Nach dem Ende seiner Kommissionsarbeit stand Brandt politisch und gedanklich ein beträchtliches Stück weiter links als zuvor.
    Sicherheit für wen?
    Das elementare Erlebnis des Mauerbaus, nur Objekt Mächtigerer zu sein, hatte zwangsläufig zu dem Versuch geführt, eigene Interessen aus einer Position der Schwäche zu verfolgen. Für Brandt und mich war die überlegene Persönlichkeit des französischen Generals Charles de Gaulle ein Beispiel dafür, wie viel im Kreis von drei Mächtigeren in Washington, London und Moskau erreicht werden konnte. Zugleich war seine Rolle eine Warnung für uns: Für ein globales Gewicht, das seinem politischen Format durchaus entsprach, war Frankreich zu klein. Vom richtigen Einsatz der eigenen Kräfte hing ab, ob Überheblichkeit zu tragischem Scheitern oder Realismus zu unerwartetem Erfolg gegenüber den Mächtigeren führen würde. Das war der Kern unzähliger Gespräche zwischen Brandt und mir zum Komplex der Sicherheit für und vor Deutschland.
    Brandt hatte sich 1964 in seiner Rede vor der Foreign Policy Association respektvoll auf de Gaulle bezogen und in seinem Manuskript die Frage eingefügt: »Warum eigentlich nur er?« Erläuterungen zu einigen aufgeregten Fragen gab er nicht, sie hätten nur Ärger gemacht. Dem General verdankten wir die Idee eines Europas der Vaterländer und folgerten daraus, dass auch die Bundesrepublik ihren eigenen Willen und ihre eigenen Interessen verfolgen und trotzdem bündnistreu bleiben konnte. Noch weitergehend: dass die Nation nicht in Europa untergehen würde und wir gegenüber dem unentbehrlichen Amerika keine Untertanen waren.
    Die Definition des Generals bezüglich atomarer Waffen gilt immer noch: Kein Land teilt die Entscheidung über diese Waffe, auch nicht mit dem besten Freund, denn ihr Einsatz entscheidet das Schicksal der eigenen Nation, und diese Entscheidung ist mit keinem anderen Land teilbar. Diese elementare Ansicht zu einer elementaren Waffe, die eben mehr ist als die Weiterentwicklung der Artillerie, übersetzte Brandt politisch: »Die Vier Mächte können auch künftig in 999 Fragen streiten. In einer Frage sind sie sich einig: Die Deutschen dürfen nie eine Atomwaffe bekommen.«
    Diese Einsicht vertrat Brandt auch in seinem Gespräch mit Kennedy 1962. Es sei eine sinnlose Idee, die geplante multilaterale Atomstreitmacht aufs Meer zu schicken, um nukleare Teilhabe vorzutäuschen. Das schade sogar dem Bündnis, denn der Kapitän wäre ein Amerikaner, und die Atomwaffen würden auch Amerikaner bedienen. Alle anderen Verbündeten stellten die Köche, die Heizer und die Matrosen. Kennedy war erleichtert. Praktisch versenkten die beiden die Flotte, bevor sie auslief, und ersparten sich und anderen viel Ärger.
    Brandt hatte die Lektion seit dem Mauerbau gelernt. Auch für Berlin wollten die beiden Großen nicht »zum Krieg« gehen, wie Kennedy ihm geschrieben hatte. Bis zum Ende seines Lebens hat er nicht umlernen müssen: Die beiden Supermächte mit ihren interkontinentalen Atomwaffen hatten die Macht und die Verantwortung und ließen sich durch niemanden zu einem atomaren Konflikt drängen, weil keiner von ihnen mehr im klassischen Sinn »siegen« konnte. Das Risiko wäre zu groß gewesen. Sie hatten einen atomaren Schild zwischen sich etabliert, der sie, ihre Verbündeten und alle anderen schützte. Heute wissen wir, dass er die deutsche Einheit überlebte. Dieser atomare Schirm verband die antiquierte Sorge vor einem inzwischen militärisch irrelevanten Deutschland mit der Sicherheit für Deutschland. Zusammen mit der französischen atomaren Souveränität führte das schon damals zu dem Schluss, dass es keine europäische Atommacht geben würde. Europäische Selbstbestimmung ist auf die Ebene konventioneller Streitkräfte begrenzt.
    Es war Brandts Grundüberzeugung, dass für die Erhaltung des Friedens in Europa

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