Das Muster der Liebe (German Edition)
Rissen in der Decke. Aber es waren Alix’ erste eigene vier Wände. Die Möbel befanden sich in einem so schlechten Zustand, dass selbst die Wohlfahrt dankend ablehnen würde, wenn man sie ihr angeboten hätte. Dennoch, es war
ihr
Eigentum. Alix und Laurel hatten jedes einzelne Stück über die Monate gesammelt – mal waren es Geschenke, mal hatten sie die Möbel direkt von der Straße mitgenommen.
Keines der Mädchen stand noch in Kontakt zu seinen Eltern. Das Letzte, was Alix gehört hatte, war, dass ihr Vater mittlerweile irgendwo in Kalifornien lebte. Zehn Jahre hatte sie ihn nicht gesehen und auch nicht vermisst. Er hatte keine Anstalten gemacht, sie zu finden. Und umgekehrt hatte sie ebenso wenig das Bedürfnis, ihn zu suchen. Ihre Mutter saß im Gefängnis. Niemand wusste davon – bis auf Laurel, der sie es in einem schwachen Moment erzählt hatte. Alix schrieb ihrer Mutter im Laufe der Zeit einige Briefe, doch ihre Mutter antwortete immer nur dann, wenn sie Geld brauchte – oder andere Dinge, um die eine Mutter ihre Tochter besser nicht bat.
Alix’ einzige Familie war ihr großer Bruder gewesen. Doch Tom geriet in die falschen Kreise und starb vor fünf Jahren an einer Überdosis. Sein Tod hatte sie schwer getroffen. Und er tat es immer noch. Tom bedeutete ihr alles. Er war einfach gegangen und hatte … aufgegeben. Als sie es erfuhr, war sie wütend. So wütend, dass sie ihn umbringen wollte, weil er ihr das antat. Und das Nächste, an das sie sich erinnerte, war, dass sie sich auf dem Fußboden zusammengekauert und sich gewünscht hatte, wieder acht Jahre alt zu sein. Sie wollte sich in ihrem Schrank verkriechen und so tun, als sei ihre kleine Welt sicher.
Ohne Tom geriet sie ins Wanken, wurde unbesonnen und brachte sich in Schwierigkeiten. Sie hatte einige Zeit gebraucht, bis sie ihren Weg gefunden hatte. Aber es war ihr gelungen. Heute war Alix entschlossen, nicht dieselben Fehler wie ihr Bruder zu machen. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war sie auf sich allein gestellt. Nach ihrer Einschätzung hatte sie es wirklich gut hinbekommen, drogenfrei und ehrlich zu bleiben. Sicher, sie war ein paarmal mit den Bullen aneinandergeraten und anschließend einem Sozialarbeiter unterstellt worden. Doch trotzdem war sie stolz, nicht in ernste Schwierigkeiten geraten zu sein – und sie war stolz, nicht von der Wohlfahrt leben zu müssen.
“Heute Nachmittag hat jemand für dich angerufen”, sagte Laurel, kurz bevor der Laden schloss. “Ich wollte es dir erzählen, aber ich hab’s vergessen.”
Sie konnten sich die Wohnung leisten, jedoch kein eigenes Telefon. Und so wurden alle Gespräche im Videoladen geführt – was dem Geschäftsführer natürlich nicht sonderlich gefiel. “Wer hat angerufen?”
“Eine Frau namens O’Dell.”
Die Sozialarbeiterin kam nach der Drogengeschichte ab und zu vorbei. Alix war mit Laurels Vorrat an Marihuana erwischt worden. Sie konnte Laurel noch immer nicht verzeihen, dass sie das Geld für so etwas vergeudet und die Drogen – was noch schlimmer war – in Alix’ Tasche versteckt hatte. Alix nahm keine Drogen, aber niemand wollte ihren Unschuldsbeteuerungen glauben. Also hielt sie den Mund und nahm den Vermerk in ihrer Akte hin.
“Was wollte sie?”, fragte Alix, obwohl sie es genau wusste. Denn bevor Alix all die Zeit, Kraft und das Geld in die Babydecke investierte, wollte sie sichergehen, dass der Aufwand auch tatsächlich auf ihre Stunden gemeinnütziger Arbeit angerechnet würde.
“Sie sagte, es sei in Ordnung und würde dir sicher helfen, deine Aggressionen zu bewältigen – was immer das heißen soll”, erwiderte Laurel.
“Oh.” Wenigstens hatte die Dame nicht den Strickkurs erwähnt. Das bewahrte Alix davor, Laurel zu verraten, was sie plante.
“Willst du mir erzählen, worum es geht?”
Alix presste die Lippen aufeinander. “Nein.”
“Wir wohnen zusammen, Alix. Du kannst mir vertrauen.”
“Sicher kann ich das”, entgegnete Alix trocken. “Genauso wie ich dir vertrauen kann, dass du der Polizei die Wahrheit sagst.” Sie würde Laurel nicht so schnell vergessen lassen, was sie ihretwegen in Kauf nehmen musste.
“Okay”, erwiderte Laurel und hob beschwichtigend die Hände. “Mach, was du willst.”
Das war genau das, was Alix vorhatte.
9. KAPITEL
“W ir sind alle miteinander verstrickt. Das Stricken verbindet mich mit all den Frauen, die mein Leben so sehr bereichert haben.”
(Ann Norling, Designerin)
Lydia Hoffman
Obwohl ich
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