Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
entkommen, trotz der Verletzungen.
Sie sahen das viele Blut am Bach und suchten eine Weile in der Umgebung. Dann
gaben sie auf, weil es bereits dunkel war. Im Schutz der Nacht machten wir uns
davon.“
Erschüttert schloss Conrad die Augen. Sein Freund Sven,
seine Knechte, alle waren tot. In diesem Moment wäre ihm lieber gewesen, die
Frauen hätten ihn nicht gerettet.
„Wie habt ihr mich denn – ich meine…“
„Transportiert?“, die Alte schmunzelte. „So wie wir ein
erlegtes Reh transportieren – auf einer provisorischen Rutsche aus zwei dicken
und vielen dünnen Ästen. Nicht sehr bequem, aber das war Euch in Eurem Zustand
egal.“
„Ihr habt mir nicht nur das Leben gerettet, sondern auch
euer Leben riskiert“, stellte Conrad fest.
„Was wir allerdings nicht ahnen konnten, als wir Euch
fanden“, wiegelte die Alte ab.
„Aber wenn diese Halunken mich noch immer suchen sollten,
dann seid auch ihr in Gefahr – ich kann nicht bleiben.“
„Keine Sorge“, erwiderte die Alte, „hier wird man Euch nicht
finden. Außer uns beiden weiß Niemand von Euch und nur Wenige kennen den Weg zu
unserer Hütte. Außerdem könnt Ihr gar nicht fort in Eurem Zustand.“
Sie gab ihm wieder einen bitter schmeckenden Trunk und er
schluckte ergeben.
Das Gespräch hatte ihn sehr angestrengt. Der Weidenrindensud
tat seine Wirkung und bald hatten auch die Schmerzen wieder nachgelassen. Eine
wohlige Müdigkeit überfiel ihn und er schlief ein.
Wieder sah Conrad dieses Gesicht mit den Froschaugen vor
sich und schreckte aus dem Schlaf. Es war das Einzige, woran er sich genau
erinnern konnte. Dieses Gesicht würde er nie mehr vergessen.
Hatte er geschrien? In seinem Kopf hämmerte es und als er
sich aufrichten wollte, durchzuckte der Schmerz erneut seinen Körper und er gab
es auf. Es war stockdunkel im Raum. Nur vom Herd her sah er schwach die letzte
Glut leuchten.
Plötzlich verschwand die Glut, weil ein Körper davor
getreten war. Ein Kienspan wurde entzündet und holte eine schlanke Gestalt aus
der Dunkelheit, die sich ihm jetzt näherte.
Das flackernde Licht beleuchtete das nur mit einem dünnen
Hemd bekleidete Mädchen, das den Kienspan in eine Halterung steckte und sich
neben ihn setzte.
„Ihr habt geträumt, Herr“, sagte sie beruhigend.
„Ja, verzeih, ich wollte dich nicht wecken.“
„Es ist fast schon am Morgen“, erwiderte das Mädchen. „Bald
geht die Sonne auf.“
Auch die alte Grete war aufgestanden und ging zum Herd, um
das Feuer zu entzünden und die Morgenmahlzeit zu bereiten.
„Ihr habt Schmerzen“, stellte das Mädchen fest und setzte
sich zu ihm.
„Das ist halb so wild“, log Conrad.
„Was habt Ihr geträumt?“
„Ich sehe immer wieder diese Fratze vor mir, aber ich kann
sie nicht einordnen“, sagte Conrad, „ich weiß nicht, was passiert ist, ich kann
mich an nichts erinnern. Ich weiß nicht einmal, warum ich in diesem Teil
Deutschlands bin, so weit weg von meiner Heimat.“
Unwillkürlich fasste er sich an die schmerzende Schläfe, die
von einem Kopfverband verdeckt war.
Das Mädchen stand auf und ging an sein Kopfende. „Quält Euch
nicht, Herr. Die Erinnerung wird zurückkehren. Aber Ihr solltet es nicht
erzwingen wollen.“
Sie legte ihm beide Hände auf die Stirn und sprach
beruhigend auf ihn ein.
Nach kurzer Zeit hatte Conrad das Gefühl, der Schmerz würde
durch ihre Hände aus seinem Kopf entweichen. Er schloss die Augen und gab sich
dem wohligen Gefühl hin, das sich in ihm ausbreitete.
„Ihr seid auf einer Wiese, die Vögel singen und es ist
Sommer…“
Wie ein Hauch kamen ihre Worte und drangen in sein
Bewusstsein. Ein warmes Gefühl von Geborgenheit breitete sich in ihm aus, die
Schmerzen schwanden und plötzlich sah er die Wiese vor sich. Er roch die Blumen
und hörte die Vögel. Jetzt erinnerte er sich ganz deutlich. Der Geruch von Pferden
und Leder mischte sich in seine Wahrnehmungen. „Es ist Sommer“, murmelte er,
„wir warten auf die Dänen…“
Immer deutlicher sah er die Ereignisse vor sich, so als wäre
er in diesem Moment wieder auf dem Schlachtfeld. Er sah die Wimpel im Wind
wehen und die Wappen auf den Schilden und den Wappenröcken der Ritter über den
Kettenhemden. Knisternde Spannung lag in der Luft, die Streitrösser scharrten
unruhig mit den Hufen und die Blicke der Männer suchten den Horizont ab.
„Welcher Tag ist heute?“, fragte die ruhige Stimme des
jungen Mädchens.
„Es ist Sommer, der 22. Tag des Brachetmond, im Jahre
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