Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
den
vermeintlich Schlafenden nicht zu wecken.
„Ich hoffe, wir haben nicht ein Unglück heraufbeschworen,
als wir ihn gerettet haben“, hörte er die Alte sagen.
„Aber Großmutter, was redest du da? Wir konnten ihn doch
nicht einfach liegen lassen“, erwiderte das Mädchen entrüstet.
„Er ist ein Adliger, ein Ritter. Und man wollte ihn töten.
Wer weiß, wo wir da rein geraten sind.“
Als sie den entsetzten Blick des Mädchens sah, fügte sie
hinzu: „Natürlich werden wir ihn gesund pflegen. Aber ich werde froh sein, wenn
er erst wieder weg ist.“
Conrad konnte die Bedenken der Alten nachvollziehen. Auch
ihm war daran gelegen, so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen. Keinen
Tag länger als unbedingt nötig wollte er seinen Retterinnen zur Last fallen. Er
würde es sich nie verzeihen, wenn sie seinetwegen in Schwierigkeiten geraten
sollten.
Leider hatte er keine Ahnung, von wem er überfallen worden
war und warum. Er konnte nur hoffen, derjenige hielt ihn für tot.
Es dunkelte bereits, als die Suppe fertig war. Als Line
bemerkte, dass ihr Patient nicht mehr schlief, brachte sie ihm eine Schale voll
und führte einen Holzlöffel an seinen Mund.
Es war Conrad unangenehm, wie ein Kind gefüttert zu werden,
aber es schmeckte köstlich.
„Ich wünschte, ich könnte euch vergelten, was ihr für mich
getan habt. Aber ich fürchte, dazu bin ich momentan nicht in der Lage.“
„Es war unsere Christenpflicht“, antwortete die Alte
knurrig. „Werdet einfach wieder gesund, dann war der Aufwand nicht umsonst.“
„Ich werde mir alle Mühe geben.“ Conrad lächelte sie an.
„Bei der guten Pflege, die du und deine Enkelin mir angedeihen lasst, gute
Frau, ist das nur eine Frage der Zeit.“
Das Mädchen grinste die Alte an. Die gestelzte
Ausdrucksweise des jungen Adligen belustigte sie, denn sie passte nicht in
diese Umgebung.
„Die Umstände, die dazu geführt haben, sind mir zwar
schleierhaft, aber eines ist sicher. Ohne eure Hilfe wäre ich jetzt nicht mehr
am Leben.“
„Ihr könnt Euch an nichts erinnern?“, fragte Line ungläubig.
„So ist es.“
„Die Erinnerung wird zurückkehren“, meinte die Alte. „Das
kann allerdings eine Weile dauern. Gedächtnisverlust ist nach einem Schlag auf
den Kopf nicht ungewöhnlich. Wenigstens wisst Ihr Euren Namen noch.“ Sie sah
ihn Stirn runzelnd an. „Ihr kommt nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?“
„Meine Heimat liegt am nördlichen Rand des Deutschen
Reiches, im Mecklenburgischen.“
„Dann seid Ihr am Ende ein Däne?“, wollte die Alte wissen.
„Nein“, lachte Conrad, „die Dänen haben wir vor ein paar
Jahren übers Meer nach Hause gejagt.“
Die alte Grete zuckte nur mit den Schultern. Die Verhältnisse
im fernen Norden schienen sie nicht sonderlich zu interessieren. „Aber auf
jeden Fall seid Ihr sehr weit weg von Eurer Heimat.“
„Ja“, bestätige der junge Ritter verwirrt.
„Als wir Euch fanden, wart Ihr allein. Wir haben weder Eure
Waffen noch eure Kleider gefunden.“ Die alte Frau zuckte mit den Schultern.
„Ich war…unbekleidet?“
„Ja“, meinte die Alte lakonisch. „So, wie Gott Euch
geschaffen – oder besser Eure Feinde Euch zugerichtet haben.“
Conrad wurde es unbehaglich bei dem Gedanken, dass die
beiden Frauen ihn nackt und völlig hilflos aufgefunden hatten. Aber er schob
den Gedanken beiseite. Die Frauen waren Heilerinnen. Sie sahen sicher nicht zum
ersten Mal einen nackten Mann.
„Ich kann mich nicht daran erinnern, was passiert ist, aber
ich weiß, dass ich nicht allein war. Ich muss unbedingt erfahren, was aus
meinen Gefährten geworden ist, ich muss…“
„Zunächst einmal gesund werden“, ergänzte die Alte ruhig.
Dann senkte sie den Blick. „Was Eure Leute angeht…“
Der junge Mann sah sie fragend an.
Traurig schüttelte die Alte den Kopf. „Sie sind alle tot.“
„Aber wie kannst du das wissen?“, fragte Conrad und sah von
einer zur anderen.
„Wir konnten Euch nicht weit schleppen und haben Euch erst
einmal in einer kleinen Höhle untergebracht, um die Nacht abzuwarten“, sagte
das junge Mädchen. „Da hörten wir sie.“
„Wen?“, fragte Conrad erregt.
„Die Galgenvögel, die Euch überfallen haben“, erwiderte die
alte Grete. „Sie schienen Euch zu suchen.“
„Zum Glück haben sie uns in der Höhle nicht gefunden“, ergänzte
die junge Heilerin. „Sie liefen direkt an uns vorbei und wir schnappten einige
Gesprächsfetzen auf. Demnach seid nur Ihr
Weitere Kostenlose Bücher