Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
hielt in blindem Zorn auf die Dithmarscher Fußtruppen zu. Hinter mir hörte
ich meinen Vater etwas rufen, aber ich verstand die Worte nicht. Wahrscheinlich
wollte er mich zurückhalten, denn mein Vorhaben war mehr als tollkühn.
In vollem Galopp erreichte ich die Abtrünnigen, die vor mir
auseinander stoben wie aufgeschreckte Hühner. Einem der Dithmarscher gelang es,
Hektor seinen Spieß zwischen die Läufe zu werfen. Mein Streitross stürzte und
begrub mich beinahe unter sich. Gerade noch rechtzeitig sprang ich aus dem
Sattel, überschlug mich und hatte Mühe, mit meiner schweren Rüstung wieder auf
die Beine zu kommen. Ein noch sehr junger Dithmarscher Kämpfer brüllte etwas
Unverständliches und fuchtelte ziemlich ungeschickt mit seinem Schwert vor mir
herum. Meinem ersten Schwerthieb wich er aus, den zweiten wehrte er ab, aber
dann rammte ich ihm schräg von unten meine Waffe unter das Kettenhemd, bevor er
seine Waffe wieder heben konnte.
Der Getroffene sackte in sich zusammen, während ein älterer
Kämpe sich mit einem unmenschlichen Schrei auf mich stürzte. Sicher hätte er
mich mit seinem Schwert durchbohrt, wenn nicht in diesem Moment mein Vater
aufgetaucht wäre, der ihm mit einem mächtigen Hieb die Waffe aus der Hand
schlug.
„Halt!“, brüllte mein Vater. „Genug!“
Verwundert sah ich, dass keiner der anderen Dithmarscher uns
angriff. Sie stürmten einfach weiter, ohne mich und meinen Vater zu beachten.
Dann begriff ich, warum. Die Reserve der Dänen griff die
völlig überraschten Truppen König Waldemars von hinten an. Die Dithmarscher
standen auf unserer Seite. Gleichzeitig ritt Graf Adolf einen Frontalangriff
von der anderen Seite, so dass die Dänen plötzlich an zwei Fronten kämpfen
mussten.
Entgeistert starrte ich auf die Szene und dann auf den
jungen Mann, den ich getötet hatte. Ich konnte es nicht fassen. Dieser Mann war
nicht mein Feind gewesen. Er wollte mich nicht angreifen, sondern hatte sich
nur verteidigt.
„Ich – ich wusste nicht…“, stammelte ich, dann verstummte
ich betroffen.
Ein älterer, ebenfalls gut gekleideter Dithmarscher kniete
neben dem Getöteten und starrte mich mit versteinerter Miene an: „Er war mein
Sohn“, sagte er tonlos.
Mir wurde übel. Ich drehte mich zur Seite und übergab mich.
„Ich bin Heinrich von der Lühe“, hörte ich meinen Vater sagen,
„der Vater dieses Hitzkopfes. Ich möchte Euch mein ehrliches Beileid
aussprechen. Es ist tragisch, aber in der Hitze des Gefechts kann es leicht
vorkommen, dass man den Falschen erwischt. Zumal wenn man nicht weiß, auf
wessen Seite er steht.“
Damit stellte mein Vater klar, dass er meine unbedachte Tat
nicht verurteilte. Er sah den Vater des getöteten Jungen an.
„Auch ich habe erst im letzten Moment bemerkt, dass ihr uns
zur Hilfe eilt, anstatt für die Dänen zu kämpfen. Wir haben es nicht geahnt.“
„Ich weiß“, entgegnete der fremde Ritter resigniert, „wir
haben es selbst erst kurz vor der Schlacht erfahren. Es war eine Absprache
zwischen Graf Adolf und unserem Herrn.“
Ich starrte in die erloschenen Augen des getöteten Jungen.
Erschüttert sah ich zu, wie der Vater seinen Sohn aufhob und
ihn davontrug.
Vom Rest der Schlacht nahm ich nicht mehr viel wahr.
Die Dänen wurden zurückgedrängt und ihr Heer löste sich
schließlich in wilder Flucht auf. Viele gerieten in Gefangenschaft. Niemand
wusste, wo König Waldemar von Dänemark war. Es hieß, er sei verwundet worden
und hätte ein Auge verloren.
Die Schlacht war gewonnen.
Aber ich fühlte mich nicht als Sieger. Erschüttert sah ich
auf das Schlachtfeld. Der Staub legte sich langsam und gab den Blick auf die
grausige Szenerie frei.
Ein blutender Mann taumelte orientierungslos über die auf
dem Schlachtfeld liegenden Leichen. Er kam direkt auf mich zu und schien mich
anzustarren. Aber an der Stelle, wo seine Augen sein sollten, waren nur noch
leere, blutige Höhlen.
Hektor kam heran, senkte den Kopf und stupste mich sanft an.
Ich war erleichtert, dass er noch lebte und nur leicht verletzt schien.
Ich machte mich auf, meinen Freund Hannes und meinen Knappen
Hans zu suchen.
Eine Weile irrte ich im Lager umher. Überall sah man Gruppen
von Verwundeten.
„Herr, seid Ihr verletzt?“, rief plötzlich eine bekannte
Stimme. Hans stand direkt neben mir und sah mich besorgt an. Ich ließ mir meine
Erleichterung nicht anmerken.
„Nein, ich glaube nicht“, entgegnete ich und sah an mir
herunter, „das ist nicht mein
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