Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Schreie und
ängstliches Wiehern.
Gruppenweise hatten wir uns mit Sicherungsleinen aneinandergebunden
und ich war der vierte Mann in unserer Kette. Die drei Ritter vor mir, unter
ihnen ein wahrer Hüne, konnten sich nicht mehr rechtzeitig unter den Vorsprung
retten. Der erste wurde von einem Stein getroffen und stürzte lautlos über den
Abgrund. Die Männer hinter ihm fanden keinen Halt und ich sah entsetzt, wie sie
hinterher gezogen wurden. Gleichzeitig spürte ich einen scharfen Ruck und
versuchte, mich in den Felsboden zu stemmen. Mit aller Kraft stemmten auch die
Männer hinter mir die Füße gegen den unebenen Boden, um nicht hinterher gezogen
zu werden, aber ich spürte, dass unsere Kräfte nicht ausreichen würden, uns
lange zu halten.
Um mich selbst und die Männer hinter mir zu retten, musste
ich die Leine kappen. Ich hatte schon mein Messer gezogen, als ich sah, wie
Hans den Steigbügel seines Pferdes packte und den mit dem Sattel verbundenen
Lederriemen um die Sicherheitsleine schlang. Das war eine gute Idee, die ich
sofort aufgriff indem ich die Leine zusätzlich mit Hektors Steigbügel sicherte.
Die Männer hinter uns taten es uns nach.
Die Tiere hatten unter dem Vorsprung sicheren Halt gefunden
und ihre Kraft verhinderte, dass wir in den Abgrund gezogen wurden.
Die Schreie bezeugten, dass die abgestürzten Ritter noch
lebten. Jedenfalls noch.
Ich starrte auf die stramm gespannte Halteleine, die über
der Felskante vor uns in der Tiefe verschwand und sich durch die Reibung an der
Kante zum Abgrund bereits aufzufasern begann. Jeden Moment konnte sie reißen.
Endlich hatte die Steinlawine sich ausgetobt. Nur kleine
Kiesel rieselten noch von oben herab, die aufgewirbelte Staubwolke begann sich
langsam zu lichten. Von unten hörten wir noch immer heisere Hilferufe.
Jetzt eilten mehrere Männer herbei, um zu helfen. Sie liefen
zum Abgrund, doch bevor sie ihn erreichten, riss die Leine endgültig und wir
fielen nach hinten gegen unsere Tiere. Im selben Moment hörte ich ein
klirrendes Geräusch. Metall schlug auf Stein.
Ungläubig starrte ich auf eine riesige Streitaxt, die sich
in dem Felsen über dem Abgrund verhakt hatte, während der Stiel hinter der
Kante verschwand. Ein Mann versuchte offenbar, sich an der Axt hinaufzuziehen.
Schnell schnitt ich mich los und schlang einen Lederriemen
um das Axtblatt, um ein Abrutschen der Axt zu verhindern. Wenigstens den Besitzer
der Streitaxt wollte ich retten. Als ich mich über den Abgrund beugte, traute
ich meinen Augen nicht. Ein Hüne von einem Ritter umklammerte den Schaft der
Streitaxt und an ihm hingen noch immer die anderen beiden Männer in der
Sicherungsleine.
Endlich waren auch andere Helfer heran und warfen den
Überlebenden zusätzliche Leinen zu, die sofort ergriffen wurden. Alle drei
Ritter lebten, nur einer war verletzt. Zuletzt kletterte der Hüne über den
Rand, der mit seiner Axt den Absturz im letzten Moment verhindert hatte. Seine
Hände waren blutig und sein Gesicht zerschrammt, aber ansonsten schien er
unverletzt zu sein. Er musste enorme Kräfte haben, denn er hatte außer sich
selbst eine Zeitlang zwei weitere Männer gehalten.
Der riesige Ritter kam auf mich zu, umarmte zuerst mich und
dann den erschrockenen Hans, den er mit seinen Pranken fast erdrückte.
„Ohne Euch wäre ich jetzt nicht mehr am Leben, ich s-tehe
tief in Euere S-huld“, lispelte er mit rauer Stimme.
„Ohne Eure Axt hätte keiner überlebt“, entgegnete ich.
„Tja“, meinte er, „das hat meine Axt so an sich. Sie hat
mich s-hon so manches Mal gerettet.“
Er lachte heiser. „Ich bin Sven Ericson von Skaane. Solltet
Ihr mich jemals brauchen, s-teht meine Axt Euch zur Verfügung.“
Ein Normanne aus dem Norden , dachte ich. Die Axt des
Normannen erinnerte mich sehr an die dänischen Streitäxte, nur dass sie
wesentlich größer war und gegenüber der mächtigen Klinge einen gekrümmten Dorn
hatte.
„Conrad von der Lühe“, entgegnete ich förmlich, „und das ist
mein Knappe Hans.“
Dabei musterte ich mein Gegenüber. Der Mann sah aus wie
jemand, den man nicht zum Feind haben wollte. Abgesehen von seiner Körpergröße
und dem Stiernacken waren auch seine Muskel bepackten Arme beeindruckend, wie
ein Spielzeug hielt er die schwere Streitaxt in seiner rechten Pranke. Er hatte
eine Narbe im Gesicht, die ihn zum Fürchten aussehen ließ.
„Ist wohl eine Sonderanfertigung?“, fragte Hans und deutete
auf die überdimensionale Waffe.
Sven von
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