Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
die Schwingungen
des Schiffes einigermaßen ausglich. Dem Rat Svens folgend hatte ich sie möglichst
stramm gespannt, damit sie nicht durchhing.
Doch die Seuche verfolgte uns bis aufs Meer. Noch immer gab
es neue Krankheitsfälle, einige Männer starben an dem Fieber und wurden in der
See bestattet, andere erholten sich wieder. Nach zwei Wochen gab es keine neuen
Erkrankungen mehr, das Fieber schien sich endlich ausgetobt zu haben.
Dann schlug das Wetter plötzlich um. Der Himmel verdunkelte
sich, Sturm kam auf und die Wellen türmten sich immer höher. Der Kapitän ließ
Halteseile über das Deck spannen und empfahl den Passagieren, unter Deck zu
gehen.
Das Schiff ächzte unter dem Aufprall der Wellen, der Rumpf
hob sich immer wieder hoch in den Himmel, um gleich darauf in ein Wellental zu
stürzen.
Ich hatte wenig Lust, mich unter Deck einsperren zu lassen.
Um nicht über Deck gespült zu werden, hatte ich mich mit einem Seil am Mast
festgebunden. Ich spürte, wie die Planken unter mir zitterten, wenn der Kiel
von einer Woge emporgehoben wurde, um sich kurz darauf wieder zu senken.
Die Matrosen hatten die Segel gerafft. Trotzdem riss der
Wind an der Takelage und der Mast knarrte, als wollte er jeden Moment brechen.
Das Schiff krängte und neigte sich soweit zur Seite, dass ich mehrmals
fürchtete, es würde kentern.
Aber immer wieder richtete es sich stöhnend auf und führte
seinen verzweifelten Kampf gegen die Naturgewalten weiter. Wasser überspülte
das Deck und zerrte an meinen Gliedmaßen. Bei jeder Welle wurde ich hin und her
gerissen und stieß schmerzhaft an den Mast. Trotzdem war es mir lieber, hier
oben an Deck zu sein als bei den anderen unter Deck, die betend das Unwetter
abwarteten.
Lieber wollte ich der Gefahr ins Auge sehen, auch wenn ich
den Gewalten hilflos ausgeliefert war.
Ich war froh, dass ich Hans entgegen seinem Willen in unsere
Schlafkammer geschickt hatte. Dort konnte er wenigstens nicht über Bord gespült
werden. Dem Jungen ging es nicht gut, seit zwei Tagen hatte er fast nichts
gegessen und wenn, würgte er alles wieder heraus. Zum Glück war es nicht das
Fieber, sondern die sogenannte Seekrankheit, an der er litt. Und er war
beileibe nicht der Einzige, dem es so erging.
Mein Blick fiel auf den hünenhaften Normannen, der ebenfalls
nicht unter Deck gegangen war. Nur mit einer Lederweste und einer Leinenhose
bekleidet, stand Sven an der Reling, klammerte sich mit seinen riesigen Pranken
an der Bordwand fest, dass seine Muskeln auf den Oberarmen hervortraten und
starrte auf das tosende Wasser. Er hatte sich nicht einmal mit einer Leine
gesichert. In seiner Heimat tat man das nur mit Frauen und Kindern, hatte er
behauptet.
Plötzlich legte Sven den Kopf in den Nacken und schrie
etwas, aber der Wind riss ihm die Worte von den Lippen. Im Gegensatz zu allen
anderen auf dem Schiff schien er das Unwetter geradezu zu genießen. Jetzt
schaute er zu mir herüber und lachte. Er brüllte wieder etwas, aber bei mir
kamen nur einige Wortfetzen an.
Mehrmals trug der Wind das Wort „Odin!“ zu mir herüber.
Dieser Kerl war verrückt.
Ich fühlte mich hundeelend. Jedes Mal, wenn das Schiff in
ein Wellental tauchte, schnürte der Strick mir fast die Luft ab, um sich dann
wieder kurzzeitig zu lockern, wenn ich beim Aufrichten des Bugs wieder an den
Mast gepresst wurde.
Ungläubig sah ich, wie der Normanne auf mich zu gestapft
kam. Dabei setzte er bedächtig einen seiner säulenartigen Beine vor das andere
und glich geschickt die Schwankungen der Schiffsplanken aus. Es schien, als
würden seine Füße an den Planken kleben. Eine Woge krachte auf das Deck und
umspülte seine Beine. Sven griff in die Takelage, um nicht umgerissen zu werden
und wartete ab, bis das Wasser sich verlaufen hatte. Kurz darauf war er bei mir
und setzte sich neben mich an den Mast.
„Ganz - s-hön - unruhig, was?!“, brüllte er dicht an meinem
Ohr, jedes Wort betonend.
Der Kerl war wirklich verrückt. Er schien in seinem Element
zu sein.
„Bindet - Euch - lieber - an!“, schrie ich zurück.
„Lieber nicht. Wenn ich über Bord s-püle, reiß ich das ganze
verdammte S-hiff hinterher!“ Sven lachte über seinen Scherz.
Mir war ganz und gar nicht zum Lachen zumute, dennoch gab
mir der Kerl irgendwie Zuversicht.
„Ihr - scheint - das - zu - genießen!“, rief ich zwischen
zwei Brechern.
„Das - ist - gar - nichts!“, brüllte Sven zurück. „Hab -
s-hon ganz - andere - S-türme - erlebt!“
Gischt
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