Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
bei
Tageslicht so weit wie möglich zu kommen.
Der größte Teil des Trosses wurde zurückgelassen. Die
schweren Ochsenkarren waren entladen und das Gepäck auf Maultiere verteilt
worden.
Zuverlässige Führer wurden angeworben, die den Heereszug
möglichst ohne Verluste auf die andere Seite bringen sollten. Die Moronis, wie
die einheimischen Alpenführer sich nannten, waren raue, wortkarge Kerle mit
wettergegerbten, bärtigen Gesichtern und muskulösen Waden. Sie trugen Kleidung,
die uns für diese Jahreszeit als viel zu warm erschien.
Aus der Nähe sahen die Berge noch gewaltiger und
bedrohlicher aus und der Aufstieg war anstrengender, als die meisten von uns
erwartet hatten. Das Gelände war unwegsam und stieg steil an.
Die erste Zeit konnten wir noch reiten, aber bald mussten
wir die Tiere an den Zügeln führen.
Der Saumpfad, wie die Moroni den schmalen Weg nannten, wurde
auf der einen Seite von steil aufragenden Felswänden begrenzt, während sich auf
der anderen Seite tiefe Abgründe auftaten. Vorsichtig gingen wir weiter, immer
einer hinter dem anderen, die ängstlichen Pferde eng am Zügel haltend. Einige
beteten laut, andere stumm. Wir hatten keinen Blick für die Schönheit der Berge
und Täler, denn wir mussten uns auf dem unebenen Boden auf jeden Schritt
konzentrieren.
Aber das war erst ein milder Vorgeschmack auf noch viel
schmalere Stellen, die zum Teil mit Hilfe von an den Felsen befestigten
Brettern überwunden werden mussten. An den gefährlichsten Stellen banden wir
auf Anraten der Bergführer den Tieren die Augen zu, damit sie nicht scheuten.
Dann kamen wir an die schmalste Stelle, die zudem noch
uneben war. Wir banden uns gruppenweise in einer Reihe aneinander, um nicht
abzustürzen und einen eventuell strauchelnden Kameraden halten zu können.
Trotzdem forderten die Berge ihr erstes Opfer, als ein
Maultier fehltrat und mitsamt seiner Last in den Abgrund stürzte. Kurz darauf
kam ein Ritter zu Tode, als sein Streitross ausglitt und ihn mitriss, weil er
sich den Zügel um das Handgelenk gebunden hatte. Sein Hintermann durchtrennte
geistesgegenwärtig die Halteleine, sonst hätte der Unselige noch seine
Kameraden mit in den Abgrund gerissen. Einen einzelnen Mann hätten sie sicher
halten können, nicht aber das schwere Schlachtross.
Wir hörten den lang gezogenen Schrei des Stürzenden, bis er
weit in der Tiefe abrupt abbrach.
Die Nächte in den Bergen waren empfindlich kalt und wir
waren froh, wenn wir in einer Höhle Unterschlupf fanden, vor deren Eingang wir
ein wärmendes Feuer entfachten.
Angesichts der riesigen Berge, die uns umgaben, fühlte ich
mich eingeengt. Mir kam es vor, als bewegten wir uns im Kreis und fänden
niemals mehr heraus aus den schroffen Felsen und zerklüfteten Tälern.
Als wir endlich den höchsten Punkt des Passes erreichten,
bot sich uns ein atemberaubendes Panorama.
Staunend betrachtete ich die schneebedeckten Berghänge, die
in der Abendsonne silbern glitzerten.
Inmitten der kargen, felsigen Landschaft waren kräftige
Bergziegen mit riesigen Hörnern zu sehen, die mühelos die Felsen erklommen und
das wenige Gras rupften, das an den Felshängen wuchs. Die Moroni nannten sie
Steinböcke. Solche Tiere hatte ich noch nie gesehen.
Zwischen zwei Bergrücken sah man weit in der Ferne ein
grünes Tal. Es war ein wundervoller Anblick nach all den verschiedenen
Grautönen der Felsen.
Nun folgte der lange Abstieg, der entgegen unseren
Erwartungen nicht weniger gefährlich und Kräfte zehrend als der Aufstieg war.
Wieder kamen wir an einen Pfad, der nicht nur sehr schmal,
sondern zudem noch regennass war. Wir umwickelten die Hufe der Pferde und
Maultiere mit Lederfetzen, um ihnen besseren Halt auf dem steinigen Boden zu
geben.
Vorsichtig führte ich Hektor am Zügel und sprach beruhigend
auf ihn ein. Mein Knappe folgte mit seinem Packpferd.
Ein großer Teil des Heeres hatte die kritische Stelle
bereits überwunden, als es einen Zwischenfall gab. Ein unheimliches Grummeln
über uns ließ mich nach oben blicken.
„An die Felswand“, schrie Rainulf vor uns. Kurz darauf ging
mit großem Getöse eine Steinlawine auf uns nieder. So dicht wie möglich drückte
ich mich an die glatte Felswand. Zum Glück bildete der Felsen über uns einen
kleinen Vorsprung, so dass wir relativ gut geschützt waren, während vor uns wie
ein Wasserfall Steine jeder Größe niederprasselten und mit Getöse in den
Abgrund stürzten.
Andere hatten weniger Glück. Ich hörte
Weitere Kostenlose Bücher