Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
zu können.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem mächtigen
Brummschädel. Ich lag voll bekleidet auf meiner Lagerstatt, ohne zu wissen, wie
ich dorthin gelangt war.
Mein Knappe Hans reichte mir einen vorsorglich bereit
gestellten Tonbecher mit klarem Wasser, den ich dankbar ausschlürfte. Der Junge
erzählte, fremde Ritter hätten mich gegen Morgen ins Zelt geschleppt und auf
mein Lager gebettet.
„Verdammt“, entfuhr es mir, als ich mich aufrichten wollte.
„Sie haben etwas Merkwürdiges gesagt, Herr.“ Plapperte Hans unbekümmert
weiter und griente frech.
„Soso, und was?“, fragte ich wenig interessiert.
„Sie haben gesagt: ‚Ein Dutzend Feinde können ihn nicht schrecken,
aber ein halbes Dutzend Becher Wein hauen ihn um.’ Dann haben sie gelacht.“
Ich stöhnte und hielt mir den Kopf, der zu zerplatzen
drohte.
„Wie haben sie das gemeint, Herr?“, wollte Hans wissen.
„Halt die Klappe“, entgegnete ich, „sonst erwürg ich dich.“
Schmollend zog Hans sich in eine Ecke des Zeltes zurück und
machte sich daran, meine Waffen zu polieren. Das kostbare Familienschwert
behandelte er mit besonderer Sorgfalt, obwohl es bereits makellos glänzte, als
er es aus der eingeölten, eisenbeschlagenen Lederscheide zog.
Bis zum Mittag stießen noch ein paar hundert weitere Ritter,
Knappen und Kriegsknechte zu uns und verstärkten das Kontingent des Landgrafen.
Als wir weiter zogen, wurde das Gelände zunehmend bergiger
und ließ erahnen, dass die Alpen nicht mehr weit waren.
IV
Die Alpen
Heuertmond Anno 1227
Am übernächsten Tag standen wir staunend am Fuße der Alpen.
Ich beschattete meine Augen mit der Hand und schaute auf die imposante
Bergkette, die vor uns aufragte.
Die höchsten Bergspitzen waren von Wolken umhangen und daher
nicht zu sehen. So gewaltige Berge hatte ich nicht erwartet. Die Kaiserlichen
hatten zwar erzählt, die Berge würden bis zum Himmel reichen, aber ich hatte
das für stark übertrieben gehalten, da die Ritter auch sonst gern prahlten.
Wie sollten wir da nur hinüber gelangen? Bei dem Gedanken,
man könne womöglich über den Wolken wandern, überkam mich ein mulmiges Gefühl.
Den anderen schien es nicht anders zu gehen, einige Ritter bekreuzigten sich
ehrfürchtig.
„Sieht bedrohlich aus, nicht wahr?“ Rainulf von Aversa hatte
sein Schlachtross neben mich gelenkt.
„Ja“, bestätigte ich, „aber majestätisch schön.“
„Die Schönheit ist trügerisch. Ich habe schon mehrmals die
Alpen überquert und jedes Mal ein Dankgebet zum Himmel geschickt, wenn ich es
heil überstanden hatte.“
Der bärtige Ritter lachte, wie es seine Art war, wenn er von
gefährlichen Erlebnissen sprach.
„Die mutigsten Männer habe ich dort oben vor Angst
schlottern sehen. Dort gibt es Schluchten, deren Grund man nicht sieht. Das
dort oben ist Schnee“, er deutete auf die Bergspitzen, die teilweise aus den
Wolken aufgetaucht waren und in den Sonnenstrahlen hell leuchteten.
„Es ist bitterkalt dort oben, selbst im Sommer. Der Wind
heult schaurig und manchmal werfen die Berggeister unglaubliche Mengen Schnee
die Berge hinunter auf die armen Wanderer. Die Einheimischen nennen das
Lawinen. Sie stürzen so schnell die Berghänge hinunter, dass man ihnen nicht
entkommen kann. Ich habe gesehen, wie Männer samt ihren Pferden unter den
Schneemassen verschwanden und nie wieder auftauchten.“
Als der Ritter sah, dass mein Knappe bleich geworden war,
lachte er rau.
„Aber zu dieser Jahreszeit ist es mit einem guten Führer
fast ein Spaziergang“, milderte er seine Schilderung ab. „Im Winter dagegen
muss man schon lebensmüde sein, sich in diese Berge zu wagen. Unser Kaiser hat
es gewagt, aber der ist an Tollkühnheit auch kaum zu übertreffen.“
Bewunderung sprach aus seinen Worten, als er von dem jungen
Kaiser Friedrich sprach.
„Er ist ja auch der Enkel Friedrich Barbarossas, der
ebenfalls für seinen Mut berühmt war“, sagte ich höflich.
„Ja“, bestätigte der Graf von Aversa ernst, „aber im
Gegensatz zu seinem Großvater wird Federico Jerusalem für die Christenheit
zurückerobern. Wenn es irgendein Fürst des Abendlandes jemals schaffen sollte,
dann er.“
Er sagte Federico, wie Kaiser Friedrich II. in seiner Heimat
Apulien genannt wurde.
Am nächsten Morgen brachen wir in aller Frühe auf, um
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