Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
sie einen Obolus für die Durchfahrt.
Der monatliche Markt war eine gute Einnahmequelle für
Memmingen, denn die Standgebühren und die erhobenen Steuern füllten den
Stadtsäckel beträchtlich.
Neugierig sah Conrad sich um. Der allgegenwärtige Gestank
des Unrats, der einfach auf die Straße gekippt wurde, schlug ihm entgegen. Der
Lärmpegel stieg ständig an, je näher sie dem Marktplatz kamen.
Unwillkürlich verglich er die Stadt mit Akkon und Jerusalem
und den anderen Städten, die er im Heiligen Land und in Apulien gesehen hatte.
Lärmende Märkte gab es auch in Akkon, aber es stank nicht so erbärmlich in den
Gassen, denn die Menschen warfen ihre Abfälle und Fäkalien nicht einfach auf
die Straße. Conrad ertappte sich dabei, dass er angewidert die Nase rümpfte und
darauf bedacht war, möglichst nicht in den Unrat zu treten.
Marktschreier priesen lauthals ihre Waren an, Kinder
schrien, Schweine quiekten, Hühner gackerten, Karren ratterten über das
Pflaster und die Unterhaltungen der vielen Menschen vermischten sich zu einem
ständig auf und abschwellenden Dauerton.
Von den Backständen stiegen Conrad Wohlgerüche von frisch
gebackenem Brot und Zuckerwerk in die Nase, vermischt mit den verführerischen
Düften von Gesottenem und Gebratenem von den Metzgerständen.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie hungrig er nach der langen
Wanderung war, die ihn in seinem noch immer geschwächten Zustand mehr
angestrengt hatte, als er sich eingestehen wollte.
Conrad trennte sich von den beiden Frauen, die zunächst die
Kirche aufsuchen und dann einige Besorgungen machen wollten. Am Abend wollten
sie sich vor dem Südtor treffen, um gemeinsam den Heimweg anzutreten.
Ziellos schlenderte Conrad zwischen den Ständen hindurch,
als er plötzlich eine leichte Berührung an seinem Gürtel spürte. Reflexartig
packte er zu und hielt einen dünnen Kinderarm in der Hand, der zu einem
unglaublich schmutzigen mageren kleinen Jungen mit hellblonden Haaren gehörte.
Erschrocken starrte ihn der kleine Dieb an und versuchte vergeblich, sich
loszureißen.
Wahrscheinlich hatte er in dem kleinen Beutel, den Conrad an
der Seite trug, ein paar Pfennige vermutet, die er stehlen wollte. So wie das
Kind aussah, konnte er es ihm nicht verdenken.
„Bei mir ist nichts zu holen“, sagte er leise und ließ den
Arm los. Sofort verschwand der kleine Dieb in der Menge, als hätte ihn der
Erdboden verschluckt.
Kopfschüttelnd ging Conrad weiter und stand plötzlich vor
der Kirchentreppe, die von mehreren Bettlern gesäumt wurde, die auf eine milde
Gabe hofften.
Einen Moment überlegte er, ob er hineingehen und sich mit
einem Gebet für seine Rettung bedanken sollte, aber er verwarf diesen Gedanken
schnell wieder. Nicht Gott hatte ihn gerettet, sondern zwei Menschen aus
Fleisch und Blut. Auch verspürte er keine Lust zu beichten. Durch die Teilnahme
am Kreuzzug waren ihm ohnehin alle Sünden vergeben und das Himmelreich war ihm
sicher – sagt der Papst. Conrad verzog verächtlich den Mund.
Hatte Gott die Schritte von Grete und Line zu ihm gelenkt,
als er hilflos und schwer verletzt im Bach lag, an einer Stelle, wohin sich
außer diesen beiden Frauen auf der Suche nach Kräutern niemand verirren würde?
War es Gottes Fügung, Schicksal oder einfach nur Zufall?
Der Kreuzzug hatte ihn desillusioniert. Er hatte den Glauben
an Gott nicht verloren, aber er war zu der Erkenntnis gekommen, dass man sich
nicht willenlos in das Schicksal ergeben muss, denn man konnte es selbst
beeinflussen. Die Devise ‚Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott’, war eher nach
seinem Geschmack, als sich in endlosen Gebeten der Gewogenheit Gottes zu
versichern.
Während er in Gedanken versunken weiterschlenderte,
schnappte er einzelne Worte und Gesprächsfetzen von Frauen auf, die in Gruppen
zusammenstanden und die Gelegenheit nutzten, beim Einkaufen die neuesten
Gerüchte auszutauschen.
Eine Weile lauschte er. Aber das „…hast du schon gehört…“
und „…nein, sag bloß…“ interessierte ihn herzlich wenig. Nirgendwo war von
irgendwelchen Überfällen die Rede.
Außer ein paar Dienern, die Bürgerinnen begleiteten, waren
auffällig wenige Männer zu sehen. Sicher trieben die sich lieber in einer der
Schenken herum, anstatt sich durch das Gewimmel der Menschen zwischen den
Ständen hindurch schieben zu lassen.
Wieder war er am Marktrand angelangt, als er Geschrei hörte.
Durch ein offen stehendes Tor blickte er auf einen Hof, auf dem gerade ein
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