Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
mit Fässern entladen wurde. Wie er der Beschriftung entnehmen konnte,
handelte es sich um edlen Rheinwein.
Aus dieser Richtung kam der Lärm und im nächsten Moment sah
er, woher er rührte. Ein Mann war unter eines der schweren Fässer geraten und
krümmte sich schmerzverzerrt auf dem festgestampften Lehmboden des Hofes.
Ein ungewöhnlich fetter Mann mit einem runden, hochroten
Gesicht stand laut fluchend auf dem Wagen, während zwei Diener sich um den
Verletzten kümmerten und ihn zum Haus trugen. Es war ein großes Fachwerkhaus
mit kunstvoll verzierten Trägerbalken. Wahrscheinlich gehörte es einem reichen
Kaufmann.
„He, du da!“, hörte er den Dicken auf dem Planwagen rufen,
„wenn du dir ein paar Pfennige verdienen willst, komm her und pack mit zu!“
Conrad brauchte einen Moment um zu begreifen, dass der Mann
ihn meinte. In einer ersten Reaktion wollte er sich abwenden. Ein Ritter war
kein Lohnarbeiter. Es ziemte sich nicht in seinen Kreisen, für Geld zu
arbeiten.
Aber dann besann er sich darauf, dass er in ärmlicher
Kleidung herumlief, ohne Waffen und völlig mittellos. Hier und jetzt war er
kein Ritter, sondern nur ein armer, hungriger Kerl, der froh sein sollte, wenn
er eine Arbeit angeboten bekam. Es konnte nicht schaden, sich endlich einmal
nützlich zu machen.
Conrad versuchte den Gang eines armen Burschen zu imitieren
und schlenderte betont langsam zum Wagen, die Hände tief in den Taschen
vergraben und den Kopf leicht gebeugt.
Sofort wurde er in die Arbeit mit einbezogen. Zusammen mit
zwei Knechten wuchtete er die schweren Weinfässer mit Hilfe einer Rampe vom
Wagen, um sie dann über den Hof zu rollen und schließlich im Keller des
vornehmen Hauses zu verstauen.
Nach ein paar Stunden schweißtreibender Plackerei waren
endlich alle Fässer verstaut.
Völlig erschöpft nach der ungewohnten, schweren Arbeit nahm
Conrad seinen kargen Lohn entgegen und verließ das Gehöft. Erstaunt stellte er
fest, dass er sich so zerschlagen fühlte wie nach einem schweren Waffengang.
Seine Wunde in der Seite schmerzte und er humpelte wieder leicht.
Trotzdem musste er sich eingestehen, dass er großen Stolz
empfand. Zum ersten Mal in seinem Leben hielt er mit handfester Arbeit
verdientes Geld in der Hand.
Sofort machte der junge Ritter sich auf den Weg zu einem
Tuchhändlerstand, an dem er für ein paar Pfennige ein blaues Schleifenband
erstand, dass er Line schenken wollte. Den Rest des Geldes gab er am Bäckerstand
für eine Brezel aus, die er gierig verschlang.
Als er halbwegs gesättigt und zufrieden weiterschlenderte,
spürte er plötzlich mit dem Instinkt des Kriegers, dass er beobachtet wurde.
Ohne sich umzusehen wusste er, dass ein Mann mit schweren, sporenbesetzten
Stiefeln ihm folgte.
Schnell schlug Conrad die Kapuze seiner Gugel über den Kopf
und bog in eine schmale Seitengasse ein. Dort verschwand er hinter der nächsten
Biegung, rannte ein Stück und schlüpfte durch ein halb offen stehendes Holztor,
hinter dem ein kleiner Hof lag. So leise es ging, schloss er das Tor hinter
sich und horchte.
Er brauchte nicht lange zu warten. Die Stiefelschritte
näherten sich, verhielten kurz vor dem Tor und entfernten sich dann rasch.
Einen Moment erwog er, dem Fremden zu folgen und ihn zur Rede zu stellen. Aber
für einen ernsthaften Kampf fühlte er sich noch immer zu schwach, zumal ihm
nach der Plackerei mit den Weinfässern alle Knochen wehtaten. Außerdem war das
kleine Kräutermesser von Line seine einzige Waffe. Er legte sein Ohr an das Tor
und horchte, ob der Mann zurückkehrte. Aber es blieb alles still.
Gerade als Conrad sein Versteck verlassen wollte, gewahrte
er hinter sich ein Geräusch. Er fuhr herum und sah in das gefletschte Gebiss
eines riesigen Hundes, der ihn mit gesträubtem Fell anknurrte.
Ganz langsam hob er den Riegel, der das Tor versperrte und
ließ das Tier dabei nicht aus den Augen. Er wusste, wenn er sich jetzt
umdrehte, fiel der Hund ihn sicher an.
In diesem Moment trat hinter dem zotteligen Ungetüm ein
kleiner, blonder Junge hervor. „Lass das, Teufel, das ist kein böser Mann“,
sagte er mit hoher Stimme.
Augenblicklich verwandelte sich der Zähne fletschende Hund
in ein harmloses Schoßhündchen, ließ sich von dem Kind tätscheln und wedelte
mit dem Schwanz.
Erst jetzt erkannte Conrad den kleinen Dieb, der ihn
verschmitzt angrinste. Er nickte dem Jungen zu und gab ihm seinen letzten
Pfennig, den der Kleine strahlend einsteckte. Dann trat Conrad aus
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