Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
sie auf einem Hang dicht
an der Iller entlang. Der Fluss rauschte ein paar Meter unter ihnen dahin.
Der eintönige Ritt ermüdete Line und irgendwann fielen ihr
die Augen zu. An Conrads Rücken gelehnt dämmerte sie in einen leichten
Halbschlaf. Conrad merkte, dass ihre um seine Hüfte geschlungenen Arme langsam
erschlafften und hielt diese fest, damit sie nicht vom Pferd glitt.
Sie konnten jetzt nur noch langsam reiten, denn der Pfad,
der sich oberhalb des immer steiler werdenden Hanges am Fluss entlang wand,
wurde zusehends schmaler und unwegsamer. Der durch den Regen der letzten Tage
aufgeweichte Waldboden und dicke Baumwurzeln erschwerten das Vorwärtskommen.
Gerade erwog Conrad, ob sie nicht lieber absteigen sollten,
als Hektor ausglitt und ins Straucheln kam. Line schreckte hoch. Instinktiv
klammerte sie sich fest an Conrad, der die Zügel packte, um Hektor vom steilen
Abhang wegzureißen. Mit einiger Mühe bekam das Tier wieder festen Halt, warf
den Kopf in den Nacken und schnaufte.
Sven, der die Szene beunruhigt beobachtet hatte, stieg vom
Pferd, um dieses am Zügel zu führen.
„Der Weg wird immer gefährlicher, wir sollten uns eine
ruhige Stelle suchen, um unser Nachtlager aufzus-hlagen, bevor uns die
Dunkelheit überras-t“, schlug er vor.
‚ Nachtlager ’, dachte Line amüsiert, war wohl leicht
übertrieben. Außer den Mänteln bot nur Svens Satteldecke Schutz vor der Kälte.
Aber ein provisorischer Schutz auf Ästen und Laub in einem geschützten Winkel
war besser als gar nichts.
Sie ließ sich, gestützt von Conrads rechtem Arm, ebenfalls
vom Pferd geleiten und sprang auf den Uferweg. In dem Moment merkte sie, dass
ihre Beine durch das lange Sitzen fast gefühllos geworden waren. Sie ging
einige unsichere Schritte und stolperte prompt über eine Baumwurzel,
strauchelte und wollte schon über ihre eigene Tölpelhaftigkeit lachen, als sie
ausrutschte und im nächsten Moment den Hang hinab glitt. Line versuchte, sich
an Sträuchern festzuhalten, aber ihre Füße fanden keinen Halt. Unter ihr
rauschte der Fluss.
Sie hörte Conrad rufen und sah ihn aus den Augenwinkeln vom
Pferd springen. Gerade als sie glaubte, unweigerlich in den dunklen Strom zu
stürzen, packte er ihren Arm mit eisernem Griff. Mit der anderen Hand hielt er
den dünnen Stamm eines kleinen Baumes umklammert.
Jetzt war auch Sven zur Stelle. Da sie kein Seil hatten,
halfterte er kurzerhand sein Pferd ab und warf Line eine Lederschlinge zu, an
der sie sich mit der anderen Hand festklammerte.
„S-teck die Hand durch die S-hlinge und halte fest“, rief er
ihr zu.
Sie packte die Schlinge, wickelte sie sich um das Handgelenk
und spürte einen kräftigen Ruck, als Sven sie nach oben zog.
Conrad ließ sie los, als sie an ihm vorbei glitt. Im
nächsten Moment stand sie keuchend, aber wohlbehalten auf dem Weg.
Sie schaute sich nach Conrad um, der jetzt ein Stück unter
ihr hing und ihr zulächelte.
„He“, rief Sven ihm zu. „Was hängst du da so faul rum, komm
hoch.“ Damit warf er ihm den Lederriemen zu.
In dem Moment passierte es. Bevor Conrad den Riemen packen
konnte, brach der trockene Stamm, an dem er sich festgehalten hatte und der
junge Ritter stürzte ungebremst in das kalte Wasser.
Schreckensstarr sah Line, wie er sofort vom Strom erfasst
und weggetrieben wurde.
Sven reagierte sofort. „Komm mit den Pferden nach“, rief er
ihr zu, sprintete leicht humpelnd los und war hinter der nächsten Biegung
verschwunden, bevor Line zu einer Reaktion fähig war.
Dann riss sie sich zusammen. Der Weg verlief parallel zum
Fluss, so dass Sven Conrad folgen konnte.
Sie schaltete ihren Verstand aus, der ihr sagte, dass selbst
ein guter Schwimmer verloren war, wenn er mit voller Kleidung in eiskaltes
Wasser fiel und die Strömung ihn erfasste.
Sie klammerte sich an die Hoffnung, Conrad würde vielleicht
ans Flussufer gespült werden oder er könnte sich an einem überhängenden Ast
festhalten, bis Sven ihn erreichte.
Mechanisch hob sie das Zaumzeug auf, nahm Hektor am Zügel
und folgte Sven so schnell, wie es ihr möglich war. Svens Pferd trottete brav
hinterher.
Je weiter sie ging, immer auf das Wasser starrend und stumm
vor sich hinbetend, desto mehr stieg kalte Angst in ihr auf. Es darf nicht
sein. Lieber Gott, mach, dass er gerettet wird , dachte sie. Es ist
allein deine Schuld , sagte eine innere Stimme. Diese Erkenntnis traf sie
hart und schnürte ihr die Kehle zu. Wieder hatte er sein Leben
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