Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
hatte, während Conrad und Sven in respektvoller
Entfernung warteten.
Schließlich stand das Mädchen auf und kam zurück. Aber sie
ging nicht zu den Männern, sondern verschwand zur Verwunderung der Ritter in
den Trümmern des Hauses.
Neben der Herdstelle befand sich eine Steinplatte, die Line
mühsam anhob. Aus der darunter liegenden Vertiefung brachte sie ein verrußtes
Metallkästchen zum Vorschein.
„Es ist nicht viel“, sagte sie, als sie das Kästchen öffnete
und einige Münzen herausnahm, die sie zusammen mit Grete zusammengespart hatte.
„Aber es wird uns helfen, unterwegs nicht zu verhungern.“
Sven murmelte etwas Unverständliches. Ihm schien der Gedanke
nicht zu behagen, sich von einem Mädchen aushalten lassen zu müssen, aber seine
Geldkatze war fast leer und es war ein langer Weg.
Nicht nur Essen und Unterkunft, sondern auch Fährleute
mussten bezahlt werden, um über Flüsse zu gelangen, wo es keine Brücke gab.
Sie löschten das Feuer und packten ihre Sachen zusammen.
Line lockte den Kater Flecki heran und steckte ihn in ihre Umhängetasche, wo er
oben herauslugte.
Conrad schwang sich in den Sattel seines Schlachtrosses und
half Line hoch, die sich rittlings hinter ihn setzte. Sven bestieg den
Braunen.
Zunächst ritten sie in Richtung Nordwest, um bei Memmingen
an die Iller zu gelangen. Dem Fluss wollten sie dann nach Norden folgen.
Das Wetter meinte es zunächst gut mit den Reisenden, es
wehte nur ein mäßiger Wind, der Himmel war zwar wolkenverhangen, aber es blieb
den ganzen Vormittag über trocken. Manchmal kam sogar zaghaft die Sonne zum
Vorschein.
Aber schon am Nachmittag fing es an zu regnen. Sven hüllte
sich in seinen langen Mantel. Conrad überließ seinen Mantel Line, die sich
zunächst sträubte, ihn dann aber dankbar annahm. Dicht drängte sie sich an
Conrad, um auch ihn ein wenig zu wärmen.
Am Abend erreichten sie den Fluss und schlugen an einer
windgeschützten Stelle ein provisorisches Lager auf.
Während Sven ein Feuer entfachte und dann zusammen mit
Conrad aus Zweigen und Blättern einen Windschutz errichtete, schnitt Line
Weidenruten und flocht daraus einen Korb für Flecki, den sie mit Gras
auspolsterte. So konnte sie ihn während der Reise bequemer transportieren als
in ihrer Tasche.
Hinter dem Windschutz rollten sie sich zusammen und
versuchten zu schlafen. Sven und Conrad wechselten sich damit ab, das Feuer in
Gang zu halten und zu wachen.
In der Nacht wurde es bitterkalt und gegen Morgen setzte ein
leichtes Schneetreiben ein.
Kaum zu glauben, dass es vor ein paar Tagen noch mild und
sonnig gewesen war.
Nach einem kurzen Frühstück, bei dem sie die letzten Reste
der Vorräte aus Svens Satteltasche vertilgten, schaute Line noch einmal nach
der Wunde an Svens Bein.
„Sieht sehr gut aus“, stellte sie zufrieden fest.
Dann verschwand sie noch einmal in den Büschen, bevor sie
aufbrachen.
„Hast du das gehört?“, fragte der Normanne halblaut seinen
Freund, „ihr gefällt meine Wade.“
Conrad grinste. „Kein Wunder. Schließlich ist die dicker als
mein Oberschenkel.“
Als Line zurückkam, machte sich die kleine Reisegruppe
wieder auf den Weg. Das Wetter wurde zunehmend ungemütlicher. Die Feuchtigkeit
kroch unter die wollene Kleidung und ließ Line frösteln, obwohl sie Conrads
Mantel trug und sich an ihn kuschelte. Trotzdem genoss sie den Ritt, denn so
konnte sie ihm nahe sein.
Sie vermisste Grete. Die alte, wortkarge Frau war ihr in den
letzten Jahren ans Herz gewachsen. Während der Zeit bei ihr hatte sie geglaubt,
glücklich zu sein und nichts zu vermissen.
Aber dann kam dieser junge Edelmann in ihr Leben, der ihre
heile Welt auf den Kopf stellte, sie in Verwirrung stürzte und langsam ihr
Herz eroberte. Mit einem Mal war alles anders. Die Welt war bunter und das Leben
voller schöner Geheimnisse. Conrad war für sie das Wichtigste im Leben
geworden. War das die Liebe, von der alle schwärmten, obwohl es den Wenigsten
vergönnt war, sie wirklich kennen zu lernen? Sie wünschte sich nichts
sehnlicher, als dass Conrad dieses Gefühl erwiderte.
Gretes Tod hatte sie tief getroffen, aber an der Seite von
Conrad würde sie die Trauer überwinden können.
Natürlich wusste sie, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte.
Bestenfalls war es ein Glück auf Zeit. Dennoch war sie fest entschlossen, diese
Zeit so gut es ging zu genießen.
Während Line in Gedanken versunken ihren Kopf an Conrads
Rücken lehnte und seinem Herzschlag lauschte, ritten
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