Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
heraus zu kommen“, bat Line.
„Dagegen ist nichts einzuwenden“, lenkte die Nonne ein. Sie
führte Conrad in eine kleine Kammer, in der er warten sollte und ging mit Line
in den Krankensaal.
Conrad war ganz froh, denn er bekam ein beklemmendes Gefühl
bei dem Gedanken, einen großen Raum voller kranker und sterbender Menschen
betreten zu müssen.
Line folgte der älteren Nonne in einen geräumigen Saal und
war nicht überrascht, als ihr der typische, unverkennbare Gestank nach Blut,
Eiter, Erbrochenem und menschlichen Exkrementen entgegenschlug, wie er für
einen Krankensaal typisch war. Sie kannte diesen Geruch noch gut aus ihrer Zeit
im Kloster, als sie bei der Pflege der Kranken geholfen hatte.
Dennoch war er hier nicht so stark, wie sie erwartet hatte.
Hier achtete man offenbar auf Sauberkeit und gute Belüftung.
Der Raum war langgezogen und von schmalen Fenstern auf der
einen Seite hell beleuchtet. Auf der anderen Seite reihten sich die Bettstätten
der Kranken aneinander. Jeder hatte sein eigenes Bett, mit einem Strohsack,
einem Laken und einer wollenen Decke. Den einzigen Schmuck im Raum bildete ein
riesiges Kruzifix an der fensterlosen Wand.
„Dort ist Schwester Elisabeth“, sagte die alte Nonne neben
ihr und wies auf eine junge Frau, die in Schwesterntracht auf dem Boden kniete
und die Steinfliesen schrubbte.
Line wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber bestimmt
keine Landgräfin, die den Boden wischte. Elisabeth sah auf und schaute sie mit
hellen, klaren Augen an. Line musste sich erst einmal räuspern, bevor sie ihre
Stimme wiederfand. „Ich bin Caroline aus Herbishofen, Hoheit.“
„Sei gegrüßt, Caroline aus Herbishofen“, erwiderte die junge
Nonne und erhob sich. „Aber ich werde hier mit ‚Schwester Elisabeth’
angesprochen.“
Line knickste höfisch und trug ihre Bitte vor. „Ich möchte
Euch bitten, mit mir zu kommen. Im Vorzimmer wartet ein Ritter, der Euren
Gemahl gekannt hat und Euch sein Beileid aussprechen möchte.“
Elisabeth atmete tief ein. Sie war nicht groß, hielt sich
aber sehr gerade. Trotz ihrer schmutzigen Nonnentracht sah sie würdevoll aus
wie eine Königin.
„Gehen wir“, sagte Elisabeth schlicht.
Conrad sprang von seinem Schemel auf, als die Frauen
eintraten, zuerst Elisabeth und hinter ihr Line. Er war im ersten Moment etwas
verwirrt. Als er die Landgräfin das letzte und einzige Mal gesehen hatte, war
sie in Samt und Seide gekleidet, jetzt trug sie eine schlichte Nonnentracht.
Dennoch erkannte er sie sofort und ging vor ihr auf ein
Knie.
„Eure Hoheit“, sprach er sie an, „ich bin Conrad von der
Lühe und es ist mir ein Bedürfnis, Euch mein zutiefst empfundenes Beileid
auszusprechen für Euren tragischen Verlust.“
„Steht bitte auf, Ritter Conrad. Und nennt mich nicht
Hoheit, denn wie Ihr seht, habe ich den Schleier genommen. Ich erkenne Euch.
Ihr wart vor dem Kreuzzug auf der Wartburg und wolltet Euch meinem Mann
anschließen.“
Conrad war erfreut, dass sie ihn erkannt hatte. „Ich hatte
die große Ehre, Euren Gatten auf dem Kreuzzug zu begleiten“, bestätigte er.
„Unser Unternehmen stand unter keinem guten Stern. Viele
Männer wurden krank und starben. Als wir von Apulien nach Qutremer aufbrachen,
war auch Euer Gatte erkrankt. Er musste umkehren. Aber ich kann Euch
versichern, dass er bis zum letzten Atemzug an Euch gedacht hat. Ich weiß es
von Graf Rainulf von Aversa, der in der Stunde des Todes bei ihm war. Seine
letzten Worte galten Euch.“
Elisabeth hielt sich sehr gerade und zeigte keine Regung.
„Ich danke Euch“, sagte sie dann, „Eure Worte erwärmen mein Herz.“
Inzwischen war eine Nonne mit drei Bechern eingetreten, die
sie auf den einzigen, klobigen Holztisch stellte, dann verschwand sie wieder.
„Gern böte ich Euch einen Becher guten Weines an, aber wir
leben hier sehr asketisch und ich kann nur mit verdünntem, saurem Wein dienen“,
sagte Elisabeth mit ihrer weichen, leisen Stimme.
„Das ist sehr freundlich von Euch“, erwiderte Conrad und
nahm aus Höflichkeit einen der Becher. Line nahm die anderen beiden Becher und
gab einen davon Elisabeth.
Dabei fiel ihr auf, wie bleich die junge Frau war. Ihr
Gesicht hatte eine ungesunde blasse Farbe, ihre Lippen waren blutleer und unter
den Augen lagen tiefe Schatten. Ihre Wangenknochen traten weit hervor und sie
war sehr mager, was ihre weite Nonnentracht nur unzulänglich verbergen konnte.
Sie sah aus wie Jemand, der sich nicht schonte und viel zu wenig
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