Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
Kerl fand auch noch nach Tagen jede
Spur im Wald.
*
Nach zwei quälenden Stunden fand Li Chan endlich einen
Fußabdruck an einer trockenen Stelle unter einer alten Eiche, die mit einiger
Wahrscheinlichkeit von Line stammte.
Li Chan folgte der Spur, die für Conrad so gut wie
unsichtbar war. Er konnte seinen Freund nur bewundern. Nach einigen Stunden
gelangten sie an einen flachen Hügel.
„Ein Hügelgrab“, stellte Conrad fest, „solche gibt es einige
in dieser Gegend.“
Sie stiegen hinauf und sahen sich um. Ein matt leuchtender
Gegenstand, der die Sonnenstrahlen reflektierte und in der Mitte einer kleinen
Mulde auf der Hügelkuppe lag, fiel Conrad ins Auge. Als er sich bückte, den
Gegenstand aufhob und betrachtete, schlug sein Herz plötzlich schneller. Wenn
er bis jetzt gezweifelt hatte, ob sie der richtigen Spur folgten, so konnte er
sich jetzt völlig sicher sein.
„Line war hier!“, rief er Li Chan freudig zu, „diesen Stein
hat sie am Meer gefunden, es ist ein Bernstein.“
Der Chinese schmunzelte. Er schien keinen Zweifel daran
gehabt zu haben, der richtigen Spur zu folgen.
„Eine ganze Weile sie war hier“, sagte er, „in dieser Mulde
sie hat gekniet längere Zeit. Vielleicht sie hat gebetet.“
Ach Conrad kniete sich in die Mulde und betete, den
Bernstein zwischen den gefalteten Händen. Er betete so inbrünstig wie noch nie
in seinem Leben.
„Dann sie ist aufgestanden und dort gegangen in das
Unterholz“, sagte Li Chan und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
„Dort“, der Chinese zeigte mit dem Finger in die angegebene
Richtung.
Conrad staunte wieder einmal über Li Chans Fähigkeiten. Er
selbst konnte nur mit Mühe einige niedergedrückte Grashalme und Zweige
erkennen. Ob diese Spuren aber von einem Menschen oder einem Tier stammten,
hätte er nicht mit Sicherheit sagen können.
Er sah noch einmal auf den Bernstein, der sich in seiner
Hand merkwürdig warm anfühlte, als hätte er noch die Wärme von Lines Körper
gespeichert und sie sorgsam in sich verwahrt. Dann steckte er ihn ein.
Als Li Chan weiter ihrer Spur folgte, stutzte er plötzlich.
„Das hier ist Wildschweinspur“, sagte er. „Nicht sehr alt, vielleicht einen
Tag, schweres Tier, sehr groß.“
„Hat er sie angegriffen?“, fragte Conrad entsetzt.
„Nein, keine Spur von Kampf. Sieht aus, sie gefolgt der
Spur.“
„Woher weißt du das?“
„Spuren beide von gestern, Spur von Mädchen teilweise
überdeckt Wildschweinspur.“
Das klang einleuchtend, aber Conrad konnte es kaum glauben.
Warum sollte Line solch einem Tier folgen? Aber er vertraute seinem Freund und
stellte keine Fragen.
Sie überquerten einen Bach und fanden die Stelle, an der
Line gelagert hatte. Skeptisch musterte der Chinese die Spuren, dann hellte
sich sein Gesicht auf.
„Kluges Tier“, sagte er.
„Was?“
„Hier, diese Spur. Das ist Spur von großem Hund, aber nicht
Wolf“, erklärte Li Chan überzeugt.
„Lupus? Hat der Hund überlebt und ist bei ihr?“, fragte
Conrad hoffnungsvoll.
„Ja. Das ist sicher Spur von Lupus“, entgegnete Li Chan.
Conrad war erleichtert. Wenn der Wolfshund bei Line war,
würde er sie beschützen. Line war nicht allein. Zum ersten Mal war er froh,
dass sie das Tier damals mitgenommen hatten.
So schnell sie konnten, folgten sie den nun deutlich
sichtbaren Spuren im weichen Boden. Da das Gelände aber unwegsam und mit
Unterholz überwuchert war, mussten sie die Tiere am Zügel führen, so dass sie
sicher nicht viel schneller vorankamen, als Line einige Stunden zuvor. Der
Himmel war jetzt blau und wolkenlos. Es sah nicht so aus, als wolle es in der
nächsten Zeit wieder anfangen zu regnen. Das war gut so.
Endlich lichtete sich der Wald etwas, die beiden Freunde
saßen auf und kamen nun wesentlich schneller voran. Langsam ging allerdings der
Tag zur Neige und sie konnten jetzt nicht mehr weit hinter Line und ihrem
zotteligen Freund sein.
Obwohl er äußerlich ruhig erschien, wurde Conrad innerlich
immer aufgeregter. Er wollte Line unbedingt noch vor Einbruch der Dunkelheit
einholen, andernfalls müssten sie ihre Suche auf den nächsten Tag verschieben.
In dem Fall fand er sicher keinen Schlaf. Er wollte sich gar nicht ausmalen,
was einem durch den Wald irrenden Mädchen alles passieren konnte.
Den ganzen Tag gönnten sie sich kaum eine Ruhepause. Li Chan
kaute ab und zu auf einem Kanten Brot oder einem Stück Speck aus seiner
Satteltasche herum, aber Conrad
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