Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
unberechenbar, aber so wütend
hatte Antonia ihn noch nie gesehen. In solchen Situationen blieb ihm das
Gesinde möglichst fern. Doch für sie war es zu spät, sich heimlich aus dem
Staub zu machen.
Geronimo lief herbei, um zusammen mit Wenzel die Tiere zu
versorgen.
Beinahe ruppig griff Arnulf nach der vollen Schöpfkelle, die
Antonia ihm reichte. Er nahm einen langen Zug und ließ die Kelle achtlos
fallen. Als Antonia sie aufheben wollte, packte er plötzlich das erschrockene
Mädchen am Oberarm und kniff ihr mit der anderen Hand so derb in die Pobacke,
dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Sie wollte sich seinem Griff entwinden,
aber er packte nur noch fester zu und zog sie zu sich heran.
Wenzel, der nur ein paar Fuß daneben stand und gerade das
Schlachtross in den Stall bringen wollte, hielt inne und starrte mit
ohnmächtiger Wut auf die Szene.
Er sah, wie Antonia vor Schmerz die Zähne zusammenbiss.
Plötzlich nahm er ein Blitzen wahr. Das Mädchen hatte ein kleines Messer aus
der Rocktasche gezogen und hielt es, verdeckt von den Rockfalten, stoßbereit in
der rechten Hand. Auch ihr kleiner Bruder Geronimo schien kurz davor zu sein,
sich auf seinen Herrn zu stürzen.
Wenzel musste handeln, bevor ein Unglück geschah. „Heda,
Vorsicht!“, rief er, so laut er konnte und gab gleichzeitig dem Streitross
einen Streich mit der Reitgerte zwischen die Beine. Erschreckt sprang das Tier
einen Satz nach vorn und riss dabei fast seinen Herrn um, der gerade noch zur
Seite springen konnte. Dabei ließ er Antonia los.
Das Ross preschte über den halben Hof, bis Wenzel es endlich
wieder einfangen konnte.
„Verzeiht, Herr“, keuchte er außer Atem. „Irgendetwas muss
ihn erschreckt haben. Vielleicht ein Insekt.“
Erleichtert sah er, dass Antonia die Verwirrung genutzt
hatte, um sich aus dem Staub zu machen.
„Ich weiß auch, wer das Insekt war“, sagte drohend ein
kleiner, untersetzter Waffenknecht hinter ihm. „Du warst das.“
Wenzel machte ein unschuldiges Gesicht und versuchte es mit
einem Scherz: „Ich? Sehe ich denn wie ein Insekt aus?“
Niemand lachte. „Das Scherzen wird dir noch vergehen“,
zischte Arnulf gefährlich leise. Er brauchte unbedingt ein Ventil, um seine
angestaute Wut abzubauen.
„Ruft das Gesinde zusammen“, brüllte er, „alle sollen sich
auf dem Hof versammeln. Sie sollen sehen, wie es einem Knecht ergeht, der sich
einen schlechten Scherz mit seinem Herrn erlaubt!“
Er ließ Wenzel mit freiem Oberkörper an einen der beiden
Pfähle am Brunnen binden, zwischen denen die Winde mit dem Strick und dem Eimer
hing.
Dann verkündete er den Männern und Frauen, die sich auf sein
Geheiß hin auf dem Hof versammelt hatten, der Stallbursche Wenzel hätte seinen
Herrn absichtlich gefährdet. Das verlange eine harte Bestrafung. Wegen der
anwesenden Gäste und der bevorstehenden Trauerfeier wolle er jedoch Gnade vor
Recht ergehen lassen und den Missetäter nur auspeitschen lassen.
Die zum größten Teil unfreiwilligen Zuschauer sahen
mitleidig auf den Stallburschen. Einige von Ihnen hatten bereits Bekanntschaft
mit dem gefürchteten Ochsenziemer gemacht.
Von den adligen Gästen waren nur einige Neugierige
erschienen. Die Meisten waren gar nicht auf dem Gut, sondern hatten das schöne
Wetter für einen Ausritt genutzt.
Wenzel zeigte keine Regung. Er war froh, rechtzeitig
eingegriffen und damit Schlimmeres verhindert zu haben. Wenn Antonia den Ritter
mit dem Messer angegriffen hätte, wäre ihr Leben verwirkt gewesen. Das war ihm
die Strafe wert, auch wenn er sich vor den Schlägen fürchtete.
„Zwölf Schläge“, verkündete laut der untersetzte
Waffenknecht, der die Tortur ausführen sollte. Er stellte sich breitbeinig
schräg hinter Wenzel und ließ den Ochsenziemer grinsend durch seine Hand
gleiten.
Einige Knechte zogen scharf die Luft ein. Zwölf Schläge
waren mehr, als manch kräftiger Mann ertragen konnte.
Auf Arnulfs Zeichen pfiff die Peitsche durch die Luft und
klatschte auf Wenzels Rücken.
Einige Mägde gaben einen spitzen Schrei von sich. Antonia,
die weiter hinten stand, biss sich auf die Hand, um nicht zu schreien. Tränen
schossen ihr in die Augen. Elsa stand neben ihr und beobachtete sie scharf. Sie
war bereit, das Mädchen notfalls festzuhalten, falls die Magd die Nerven
verlieren sollte. Jeden Schlag spürte Antonia, als stünde sie selbst am Pfahl.
Wenzel hatte sie gerettet. Er galt als Leichtfuss und
Schürzenjäger, oberflächlich und verantwortungslos.
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