Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
unhaltbare Vorwürfe wurden erhoben. Ich fordere
Conrad von der Lühe auf, sich einem Gottesurteil zu stellen, so wie es von
alters her Brauch ist.“
Einen Moment herrschte Totenstille.
Das Gottesurteil, bei dem zwei Gegner auf Leben und Tod
gegeneinander kämpften, war ein uralter Brauch. Dabei gaben die Kämpfer ihr
Schicksal in Gottes Hand. Der Ausgang des Kampfes entschied darüber, ob Arnulf
schuldig oder Conrad ein Verleumder war.
Normalerweise war bei Mord die hohe Gerichtsbarkeit
zuständig. Nach geltendem Recht hätte Conrad Klage am Fürstenhof führen müssen.
Die Adligen hier im Norden klärten jedoch Streitigkeiten aller Art lieber unter
sich, ohne den Fürsten damit zu behelligen. Das Gottesurteil war dabei noch
immer ein gängiges Mittel der Rechtsfindung.
„Ich nehme die Herausforderung an“, sagte Conrad in die
Stille hinein. Er sah, wie Constance kurz die Augen schloss.
„So soll es sein“, tönte die Bassstimme des Pfarrers Ekarius
durch den Saal. Er war froh, dass der Konflikt nicht in seiner Kirche
ausgetragen wurde.
Arnulf senkte das Schwert und ließ Constance los.
Conrad atmete erleichtert aus. Fast war er Arnulf dankbar.
Ein Gottesurteil war die beste Lösung und ganz in seinem Sinne. Sein
Jugendfreund Hannes, den er neben sich schnauben hörte, schien anderer Meinung
zu sein. Er hatte Arnulf zuerst herausgefordert und fühlte sich gekränkt, aber
gegen ein Gottesurteil konnte er sich nicht stellen.
Arnulf schien seine Gedanken zu lesen und sagte leichthin:
„Keine Sorge, Bürschchen, du kommst auch noch dran, nachdem ich mit meinem
lieben Schwager fertig bin. Sein Sarg steht ja schon bereit.“
Hannes knirschte mit den Zähnen und funkelte ihn an.
Alle Anwesenden wichen vor ihm zurück, als Arnulf mit einem
kalten Lächeln zwischen den Reihen hindurch zum Ausgang schritt.
Die Kirche leerte sich langsam und alle traten ins Freie,
zuletzt der Pfarrer. Aus den dunklen Wolken fiel jetzt ein leichter
Nieselregen, der aber niemanden zu stören schien.
Conrad beobachtete Arnulf, der sich mit grimmiger Miene
umsah. Seine Männer saßen gefesselt und mit hängenden Köpfen auf der Erde,
bewacht von Manfred und seinen Leuten, die ihn mit grimmigen Minen anstarrten.
Verräter, dachte Arnulf und funkelte Manfred wütend an.
Dann entdeckte Arnulf Line, die sich etwas abseits hielt,
halb verdeckt von dem Medicus der Uritzer. Er zuckte sichtlich zusammen. Fassungslos
starrte er das Mädchen an, die seinem Blick standhielt. Seine Augen verengten
sich zu schmalen Schlitzen und mit den Lippen formte er das Wort: „Hexe“.
Langsam schob sich Li Chan noch ein wenig mehr zwischen sie
und Arnulf, als wolle er sie vor ihm schützen.
Arnulf musste an den Fluch denken und ihm wurde mulmig.
Conrad war stolz auf Line, die keinerlei Angst zeigte,
sondern unerschütterliche Zuversicht demonstrierte.
Sie sah umwerfend aus, wie sie dort stand, aufrecht und
stolz, die langen, offenen Haare nass vom Regen und die dunklen Augen furchtlos
auf ihren Feind geheftet. Wie eine Rachegöttin sah sie aus.
Kein Wunder, dass Arnulf sie fürchtete. So war es denn auch
nicht sie, sondern er, der den Blick schließlich zuerst senkte und sich
abwandte.
Die Kontrahenten waren sich einig, den Kampf unverzüglich
auszutragen. Beide trugen weder Helm noch Schild, auch keinen Kettenpanzer,
sondern nur den gesteppten Gambeson, der nur wenig Schutz gegen Schwerthiebe
bot. Bewaffnet waren beide lediglich mit Schwert und zwei verschieden großen
Messern.
In aller Eile wurde auf dem Platz vor der Kirche ein nicht
zu kleiner Kampfplatz abgesteckt.
Zwei Ritter wurden unter den Gästen ausgewählt, die auf die
Einhaltung der Regeln achten sollten, darunter der Herr von Bassewitz.
Der Kampf endete erst mit dem Tod eines der beiden
Kontrahenten. Jede Einmischung war streng verboten. Niemand durfte den
Kampfplatz betreten. Verbale Anfeuerung war erlaubt, aber keine aktive
Unterstützung, etwa durch Zuwerfen einer Waffe oder Behinderung eines Kämpfers.
Wer seine Waffe einbüßte, musste ohne sie weiterkämpfen. Für
den Kampf selbst gab es keine Regeln. Anders als bei Turnieren galt es bei
einem Gottesurteil nicht als unritterlich, auf einen bereits am Boden liegenden
oder schwer verletzten Gegner einzuhauen. Es ging nicht um den Sieg, sondern um
den Tod des Gegners. Mit Gottes Hilfe gewann nicht der Stärkere, sondern der,
auf dessen Seite die Gerechtigkeit stand. Der Sieger war über jeden Zweifel
erhaben.
Die
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