Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
sagte
Constance, „wir dachten zuerst, ein Blitz wäre irgendwo eingeschlagen, aber es
gab kein Gewitter.“
„Wie man es nimmt. So wie wir über die Kerle hergefallen
sind, könnte man es schon als Gewitter bezeichnen“, meinte Hannes.
„Lasst uns zum Gut zurückkehren, dort wird bereits zünftig
gefeiert“, entschied Conrad. „Ich glaube, wir können jetzt alle einen guten
Tropfen und ein kräftiges Mahl gebrauchen
So vorsichtig wie möglich betteten sie Wenzel auf einem mit
Stroh ausgepolsterten Karren, den ihnen der freundliche Bauer lieh. Hannes gab
dem Bauern drei Silbermark, eine großzügige Entlohnung für die Beherbergung und
Beköstigung der Frauen, Wenzels und der Wachen.
Langsam machten sie sich auf den kurzen Weg zum Gut.
Antonia hatte sich neben Wenzel auf den Karren gekauert,
Geronimo führte das gutmütige Maultier, welches den Wagen zog. Wenzel stöhnte
ab und zu, wachte aber nicht auf. Im Gut angekommen, brachten sie ihn in die
verwaiste Kammer des getöteten Stallmeisters. Hier war es bequemer als in
seiner alten Kammer über dem Stall, wo die Stallburschen zu dritt hausten.
Während Antonia heißes Wasser aus der Küche besorgte,
entfernte Line die Verbände. Der Geruch, der ihr dabei entgegenschlug, verhieß
nichts Gutes. Dort, wo Arnulfs Schwert die Schulter verletzt hatte, eiterte die
Wunde. Ein Knochensplitter war hervorgetreten, den Line vorsichtig entfernte.
Dann wusch sie mit Hilfe von Tine die Wunde gründlich aus und entfernte den
Eiter, so gut es ging. Nachdem Tine wieder gegangen war, bestrich sie die Wunde
mit der Heilsalbe, die Li Chan ihr gegeben hatte.
Antonia saß daneben. Keinen Augenblick wollte sie sich von
Wenzel trennen. Er wachte nicht auf, wälzte sich aber unruhig hin und her. Das
war nicht gut, denn dadurch konnte die frisch genähte Wunde wieder aufbrechen.
Kurz entschlossen öffnete Line das Hemd des Fiebernden und
legte beide Hände auf die schwitzende Brust.
Erstaunt sah Antonia, dass Wenzel sich zusehends beruhigte.
Es war, als würde eine mystische Kraft von Lines Händen in seinen Körper
strömen.
Dann begann die Heilerin zu singen. Es war die alte Weise,
die ihr seit ihrer Kindheit nie aus dem Kopf gegangen war. Wenzel entspannte
sich zusehends und lag schließlich völlig ruhig.
Antonia summte die eingehende Melodie leise mit.
„er schläft“, stellte Line fest und setzte sich auf. Sie
schien sehr erschöpft. Auf ihrer Stirn perlten Schweißtröpfchen.
„Es ist ein wunderschönes Lied“, sagte Antonia beinahe
andächtig, „aber auch sehr traurig. Ist die Mutter gestorben?“
„Wer?“, fragte Line verblüfft.
„Die Mutter des kleinen Kindes. Musste sie wirklich
sterben?“
Line sah sie mit großen Augen an. „Du verstehst die Worte?“
„Ja. Es ist Romani, die Sprache der Zigeuner. Viele Gaukler
verstehen sie.“
„Die Sprache der Zigeuner“, wisperte Line. War ihre Mutter
vielleicht eine Zigeunerin gewesen?
„Das wusstest du nicht?“, fragte Antonia erstaunt.
„Nein. Ich habe dieses Lied seit meiner Kindheit im Kopf.
Aber ich weiß nicht, was die Worte bedeuten. Kannst du es mir sagen?“
„Natürlich. Es geht um eine Mutter, die ihr Kind aussetzt,
weil sie es nicht versorgen kann.“
„Kannst du das Lied in unsere Sprache übersetzen?“
Antonia überlegte eine Weile. „Wenn man das Lied wörtlich
übersetzt, reimen sich die Verse nicht. Aber wenn man die Worte so setzt, dass
sie sich reimen, ohne den Sinn zu entstellen - das könnte gehen. Kannst du mir
die Verse noch einmal langsam aufsagen?“
„Natürlich.“ Line sprach die vertrauten Silben vor sich hin,
ohne zu wissen, was sie sagte.
Antonia sprach die Worte nach, grübelte eine weile,
schüttelte den Kopf und summte immer wieder den Rhythmus des Liedes. Dann sang
sie leise mit klarer Stimme:
„Dein Vater ging vor langer Zeit,
du hast ihn nie gesehn.
Gevatter Tod steht schon bereit,
auch ich muss von dir gehn.
Ja, so könnte man es übersetzen. Sag mir die zweite
Strophe.“
Wieder brauchte Antonia eine Weile für die Übersetzung. Dann
sang sie:
„Schlafe süß, mein Kindlein klein,
morgen geb’ ich dich fort.
Bald werde ich im Himmel sein,
wach über dich von dort. “
„Du bist ja eine richtige Dichterin“, stellte Line
bewundernd fest.
„Es ist ein sehr trauriges Lied.“ Antonia strich ihr über
den Arm. „Es ist deine Geschichte, nicht wahr?“
„Aber warum kenne ich die Worte und kann mich sonst an
nichts mehr
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