Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
großzügigen Festes war
in ihren Augen ein guter Anfang.
Alle Gespräche verstummten, als die Dame des Hauses zusammen
mit Line den Festsaal betrat. Constance hatte ein dunkles Kleid mit langen
Ärmeln gewählt, denn schließlich war sie jetzt Witwe. Unter dem Schapel trug
sie ein dunkles Kinntuch, welches ihre goldenen Locken verbarg.
Neben Line wirkte sie beinahe unscheinbar, denn das junge
Mädchen trug ein auffälliges, reich besticktes, dunkelblaues Bliaut über einer
weißen Chimese. Es war ein Geschenk Constances. Der Mode entsprechend fächerten
sich die Ärmel nach unten hin weit auf, so dass ihre Enden fast auf dem Boden
schleiften. Die langen schwarzen Haare wurden nur durch ein zierliches
silbernes Schapel mit stilisierten Blütenblättern gehalten und fielen ihr
locker über die Schultern. Noch nie in ihrem Leben hatte Line ein solch
wunderschönes Kleid getragen.
Aller Augen waren auf die beiden Frauen gerichtet und ein
leises Raunen ging durch die Menge.
Line fühlte sich unwohl und wäre am liebsten im Erdboden
versunken. Sie suchte mit den Augen Conrad, aber ihr Blick blieb zunächst an
der auffälligen Erscheinung Erhards von Bassewitz hängen. Der Ritter hatte
gerade den Becher gehoben und bereits den Mund geöffnet, bevor er in der
Bewegung erstarrt war. Mit seinem halb geöffneten Mund sah er aus wie ein
staunendes Kind. Er merkte nicht, wie sein Becher sich langsam zur Seite
neigte, bis der rote Wein auf seinen mit Brot und Braten belegten Holzteller
schwappte.
In Line stieg langsam Belustigung auf, als sie ihren Blick
über die anderen Ritter und Gäste schweifen ließ. Wäre ein Fabelwesen im Saal
aufgetaucht, hätten sie nicht erstaunter dreinschauen können.
Auch Conrad starrte sie an, als würde er sie das erste Mal
sehen. Seine blauen Augen strahlten und ein breites Lächeln machte sich auf
seinem Gesicht breit.
Line begann, die Aufmerksamkeit zu genießen, die man ihr
entgegenbrachte. Sie gestand sich ein, dass es ein erhebendes Gefühl war, so
bewundert zu werden.
Nur einer der anwesenden Herren hatte die Stirn in Falten
gezogen und schaute missbilligend drein. Es war der Pfarrer Ekarius, der den
Aufzug der jungen Frau mit den schwarzen Haaren offenbar als unangemessen
empfand. Schließlich war sie in seinen Augen nichts anderes als das Kebsweib
des jungen Ritters, sicher nicht einmal von Adel. Es war nach seinem Ermessen
ganz und gar nicht schicklich, dass sie die anderen anwesenden edlen Damen,
Ehegattinnen und Töchter von anwesenden Rittern, mit ihrem Aufzug und ihrer
Anmut ausstach.
Als die Frauen an dem Dorfpfarrer vorbeikamen, fühlte Line
fast körperlich die Kälte, die dieser Mann ausstrahlte.
„Vestis virum reddit“, murmelte der Geistliche und glaubte
sicher, dass niemand in seiner Nähe ihn verstand, ausgenommen vielleicht der
Herr von Bassewitz, der recht gut lateinisch sprach.
„Das ist wahr, Hochwürden, Kleider machen Leute“, erwiderte
Line laut und deutlich und lächelte ihn dabei entwaffnend an, „aber nur
äußerlich. Es kommt immer auf den Menschen an, der in ihnen steckt, denn dieser
bleibt immer derselbe.“
Überrascht riss der Pfarrer die Augen auf. Er hatte Line für
ein einfaches, ungebildetes Weib gehalten.
So mancher der Anwesenden war ebenso erstaunt.
Erhardt von Bassewitz lächelte belustigt, als er den
Gesichtsausdruck des Pfarrers sah. Bevor Ekarius etwas erwidern konnte, stand
der ältere Ritter auf und hob seinen Becher. „Der Pfarrer hat Recht. Und dennoch
kommt das wundervollste Kleid nur bei einer schönen Frau zur Geltung, es kann
die Schönheit nur betonen, keinesfalls ersetzen.“
Mit einem Blick auf Constance ergänzte er: „Ebenso wie ein
schlichtes, dunkles Kleid wahre Schönheit nicht verbergen kann, edle Dame.“
Die Ritter murmelten zustimmend, hoben ebenfalls ihre Becher
und tranken auf die Schönheit der Frauen.
Mit einer huldvollen Handbewegung bat Conrad die Damen,
rechts und links neben ihm Platz zu nehmen.
Dadurch saß Line dem Pfarrer direkt gegenüber, aber sie
würdigte ihn keines Blickes mehr.
„Du siehst einfach bezaubernd aus“, raunte Conrad Line zu,
während er sich zu ihr beugte und sie mit seinen blauen Augen so intensiv
ansah, dass ihr die Knie weich wurden und sie froh war, bereits zu sitzen. Um
ihre Verlegenheit zu überspielen, hob sie ihren Weinbecher und nahm ziemlich
undamenhaft einen großen Schluck. Beinahe hätte sie sich verschluckt und hatte
Mühe, den Hustenreiz zu
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