Das Mysterium der Zeit
römische Antike zu erforschen. In dem Buch wird es auch ein Kapitel über Bouchard geben. Es soll das endgültige Todesurteil über Bouchards postumen Ruf sein. Doch etwas geht schief.
|627| »Cassiano ließ mich dringend rufen. Er war außer sich, so hatte ich ihn, der in jeder Situation sein Phlegma wahrte, noch nie gesehen. Er sagte, er habe das Manuskript des Buches gelesen: Der Eritreer habe kein einziges Wort über die obszönen Tagebücher Bouchards verloren, obwohl er sie ihm doch zum Lesen und Kopieren überlassen hatte! Vor Wut schäumend fragte er mich, ob ich zufällig etwas darüber wisse. Er sagte es nicht offen, aber er hatte mich im Verdacht, den Eritreer überredet zu haben, von den Tagebüchern zu schweigen. Doch ich wusste wirklich nichts. Warum er so wütend war, verstand ich gut: Wenn dieses Porträt veröffentlicht wurde, würden alle sich fragen, warum der Eritreer, die giftigste Feder der Schöpfung, nicht von Bouchards obszönen Tagebüchern sprach, und es würde der Verdacht aufkeimen, dass diese Tagebücher womöglich nur ein Schwindel waren, oder gefälscht, das Machwerk billiger Libellisten, die sich bei skrupellosen Druckern ein paar Groschen verdienen wollten, wie es häufig nach dem Tod bekannter Persönlichkeiten geschieht. Wohlgemerkt, auch der Eritreer ist ein Libellist, und man weiß, dass nicht alles wahr ist, was er schreibt, aber gerade darum war es verdächtig, wenn er keine Silbe über etwas verlor, was in aller Munde war. Das konnte nur bedeuten, dass diese Informationen allzu grobgestrickte Lügen waren, um auch nur flüchtig erwähnt zu werden. Jedenfalls hätte das Kapitel des Eritreers über Bouchard die Pläne von Cassiano und den Du Puy mit einem Schlag vereitelt.«
Dal Pozzo informiert die Du Puy von der unerklärlichen Entscheidung des Eritreers, worauf sie sofort ein geschicktes Manöver ersinnen. Natürlich kann man nicht aus der Deckung gehen, indem man Gian Vittorio Rossi zwingt, in seinem Porträt Bouchards von den obszönen Tagebüchern zu berichten. Stattdessen befehlen sie Cassiano und Naudé, an alle Welt zu schreiben und anzukündigen, dass der Eritreer im Begriff steht, ein verleumderisches Porträt von Bouchard zu veröffentlichen, und dass sie alles tun werden, um das Erscheinen des Buches zu verhindern. Naudé und Cassiano sollen auch an Monsignore Fabio Chigi schreiben, den Nuntius in Köln, der Stadt, wo das Buch in Druck gehen wird, damit er die Veröffentlichung der
Pinacotheca
des Eritreers verhindere. Chigi, der die Fahnen des Buches nicht gelesen hat, zwingt den Drucker, das Kapitel über Bouchard herauszunehmen. So erfährt keiner die Wahrheit über dieses Kapitel.
»Niemand hat sich je gefragt, wer dem Eritreer die Tagebücher zu |628| lesen gab. Wer sonst als Cassiano, der sie hütete wie seinen Augapfel?«, lachte Naudé bitter.
Die Taktik der gerissenen Pariser Brüder ging perfekt auf: Die ganze Gelehrtenrepublik glaubte, dass der Eritreer den Inhalt der obszönen Tagebücher in seinem Porträt wiedergegeben hätte, das nun aber aus eben diesem Grund nicht mehr veröffentlicht wurde. Sämtliche Salons in Rom und Paris gierten nun erst recht nach Details aus den Tagebüchern. Die widerwärtigen Lügen über Bouchard gingen von Mund zu Mund, wurden tausendfach erzählt, resümiert, kommentiert und zusammen mit dem Andenken ihres angeblichen Verfassers verurteilt.«
»Eines ist mir noch rätselhaft«, fragtest du. »Warum hat der Eritreer den schmachvollen Inhalt dieser Tagebücher in seinem Porträt Bouchards weggelassen?«
»Das weiß ich nicht.«
Schweigen. In der schwarzen Nacht Gorgonas war die Stille zwischen euch abgrundtief.
Du warst der Erste, der die Unterhaltung wiederaufnahm.
»Wer hatte die Idee, Bouchards Ruf zu zerstören?«
»Ich sagte es dir schon: In Paris gab es Leute, die dazu fähig waren.«
»Eure Freunde von der Tetrade zum Beispiel?«
»Warum fragst du mich das? Du hast also nicht verstanden?« Sein Ton war weinerlich.
Dann brach er wieder in ein hemmungsloses Schluchzen aus und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
»Sein Tod hat nichts geändert, unsere gerechte Strafe ist zur richtigen Zeit gekommen«, hub er an. »Nichts bleibt ungesühnt. Der mit dem Diebesschlüssel des Vertrauens erschlichene Hinterhalt, der Verrat der Freunde, die als Anteilnahme maskierte Gleichgültigkeit, unaufrichtige Bekundungen von Zuneigung, zweideutige Fragen, um ihn in irgendeinen dummen Widerspruch zu treiben: all das
Weitere Kostenlose Bücher