Das Mysterium der Zeit
mit dem signifikanten Titel »Das Eheverbot« ist eine Zusammenfassung der bekanntesten Fälle großer Liebe zwischen Frauen und Kastraten. Angefangen mit dem jungen Bartholomäus Sorlisi, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine günstige Stellungnahme des protestantischen Konsistoriums in Leipzig haben muss, um seine Dorothea heiraten zu dürfen. Die Untersuchung des Falls erfolgt bis ins intimste Detail. Schließlich urteilen Theologen und Richter, dass die Ehe geschlossen werden kann, da »der Schnitt durch die Samenkanäle zwar die Zeugungsfähigkeit zerstört, aber das Sexualleben nicht völlig lahmgelegt hat. Die Kastraten sind durchaus zum Liebesakt fähig. Ihr Glied kann noch erigieren. Sie können es nicht nur in die Scheide einführen, sie können die Frau dabei auch sexuell befriedigen. Und schließlich haben sie selbst dabei ein Lustempfinden.«
Dies ist der erste uns überlieferte Beleg der realen sexuellen Fähigkeiten der Kastraten. Er widerspricht der modernen Tendenz auf diesem Gebiet, die – nur auf Hypothesen gestützt, da es heute keine Kastraten mehr gibt – ihrem Geschlechtsapparat jede Befähigung zum Liebesakt mit Frauen abspricht und Liebesgeschichten zwischen Kastraten und Frauen als reine Legenden abtut.
Legendär, aber in einem anderen Sinn, wurde der arme Bartholomäus Sorlisi wirklich: Von Dorotheas Eltern, die gegen die Hochzeit waren, aufgefordert, annulliert das oberste protestantische Konsistorium in Dresden die Ehe, es sei denn der Kastrat finanziere den Bau einer Kirche. Sorlisi bezahlt, aber |832| der Rat prellt ihn: Er nimmt sich die Kirche und widerruft die Annullierung nicht. Da tritt der Thronfolger auf die Bühne, der ein Dekret über die Legitimität der Ehe unterschreibt. Immerhin kann der Rat dem unglückseligen Paar nun nicht die Polizei ins Haus schicken, um sie wegen illegalen Zusammenlebens zu verhaften. Dorotheas Vater erbittet ein Gutachten der protestantischen Fakultät für Theologie in Jena, das die Annullierung der Ehe mit der Begründung der Unfruchtbarkeit bestätigt. Dass es viele kinderlose Ehen gibt, auch wenn der Ehemann kein Kastrat ist, hat für die Theologen aus Jena keine Bedeutung: Das Beispiel von Abraham und Sarah, die in hohem Alter Isaak bekamen, zeige, dass es immer noch Hoffnung gebe. Kurz gesagt: Gott kann Wunder vollbringen, aber nicht bei einem Kastraten. Unterdessen gelangt der Fall Sorlisi zu allgemeiner Bekanntheit: Theologen und Universitäten beschäftigen sich aus eigenem Antrieb mit ihm. Der Dekan und die Professoren der Universität Königsberg schicken ein Gutachten, dass die Ehe von Bartholomäus und Dorothea verteidigt und spezifiziert, dass die Durchtrennung der Samenleiter den Beischlaf und die Befriedigung der Frau nicht nur nicht verhindere, sondern sich darüber hinaus im Laufe der Jahre sogar zurückbilden könne und in diesen Fällen eine stabilere Erektion und das Austreten von Sperma möglich sei. Das allerdings sei, so Königsberg, sekundär, da das Hauptziel der Ehe nicht die Fortpflanzung, sondern die sexuelle Befriedigung sei und die Ehe daher gültig sei, wenn Sorlisis Ehefrau sage, sie würde von ihrem Mann im Bett befriedigt. Eine Modernität der Gedankenführung, vor der man nur den Hut ziehen kann. Es mehren sich aber die zornigen Stimmen derer, die lautstark die Trennung der beiden fordern. Bartholomäus und Dorothea entscheiden »wie Bruder und Schwester« miteinander zu leben, in der Hoffnung, endlich in Frieden gelassen zu werden. Aber umsonst. Der Tod beendet den Moralstreit: zerrüttet durch acht Jahre öffentlicher Attacken, wird Bartholomäus Sorlisi depressiv und stirbt 1672 mit nur vierzig Jahren. Jahre nach seinem Tod wird ein Traktat über seinen Fall er scheinen:
Eunuchi Coniugum oder Die Capaunen-Heyrath
, Halle 1685.
Dem in Bergamo geborenen Kastraten Filippo Finazzi, der in Hamburg seine Gertrude Steinmetz heiraten konnte und mit ihr glücklich und zufrieden lebte, erging es besser.
In Frankreich aber war die Situation entsetzlich. Es genügt ein Blick auf das vor Missgunst triefende
Privilegi e fedeltà dei castrati
, ein Pamphlet aus dem Jahr 1619 gegen die Ehe zwischen Frauen und entmannten Sängern, das sich feige über die Kastraten lustig macht, weil sie durch die Hochzeit in ihr Unglück |833| gehen. Denn Kastraten entzünden in Frauen »ein Feuer, das sie nicht löschen können«, da sie »schwach auf den Nieren sind, und ohnmächtig werden auf der Schwelle der Tür, durch welche
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