Das Mysterium Des Himmels
von Irscha angebotenen Haus hinüber. Es lag neben anderen Häusern, die den Vorrat für die Wintermonate beherbergten, nur zwei alte Männer lebten in der Nähe. Sie zogen sich sofort in ihre Hütten zurück, als sie Ekuos sahen. Ihr Verhalten entsprach dem der meisten Menschen, die sich lieber aus der unmittelbaren Nähe eines Sehers entfernten, denn Männer und Frauen mit einem zweiten Gesicht konnten auch das Kommende sehen, was sie selbst betraf. Besser war, man erfuhr nichts über das eigene Schicksal, so dachten die Leute und senkten den Blick oder verschwanden lieber, wenn eine Seherin oder ein Seher in ihre Nähe kam. Ekuos hatte sich daran gewöhnt und bemerkte es nicht mehr. Das Haus war geräumig. Es roch zwar nach altem Wein und vergorenem Obst, aber das ließ sich sehr schnell ändern. Matu ritt zu Irscha zurück, ließ sich einige Männer geben und ein Eisengestell mit einem steinernen Einsatz, damit das Gebäude beheizt werden konnte. Es dauerte nicht lange und Ekuos war wieder allein. Talale blieb in dem Tempel, Matu und Amadas wohnten weiterhin bei Jantumara und Quintus Tessius, wo sie beobachteten, wie die Kähne des Glenn im Hafen lagen und nicht bewegt wurden. Es war nicht mehr die Zeit des Schiffsverkehrs auf den Flüssen, denn der Herbst brachte viele böse Gespenster über das Land und die Schiffer fürchteten sich vor den nassen Händen der Flussgeister.
Als sie auf die Stadt zuritt, war ihr der Ruf der göttlichen Frau bereits vorausgeeilt. In den Gassen war nur noch von ihr die Rede, denn Jäger und Bauern, die ihre Waren auf den Markt von Iuvavum brachten, erzählten, sie hätten etwas Unheimliches gesehen, was sie gar nicht glauben konnten. Es war ein sehr früher Morgen gewesen, starker Nebel lag auf dem Land und über den Wäldern, als sie aus einer dunklen Baumgruppe das Röhren eines Hirschs vernahmen. Die Jäger legten sich sofort auf die Lauer, denn aus der Tiefe des Brusttones und der Länge des Röhrens schlossen sie auf ein mächtiges Tier. So war es dann auch, als der Hirsch zwischen den Bäumen erschien und über den Fluss auf das andere Ufer sah. Doch als die Jäger sich zum Sturm auf das Tier bereit machten, da zerrissen die Nebel und die Sonne erschien über den Bergen. Sie war so nah, dass man glaubte, sie greifen zu können. Und als die Jäger sich wieder dem vermeintlich leichten Opfer zuwenden wollten, da stand an seiner statt ein mächtiger weißer Hirsch. Durch sein verzweigtes Geweih schien brennend die Sonne, sodass die Männer sich zu Boden warfen, um nicht zu erblinden. Die Große Sonne schickte ihre Strahlen genau zwischen den Stangen des Geweihs hindurch auf die Erde. Niemand von ihnen hatte zuvor ein solches Tier gesehen, aber alle wussten um die Bedeutung eines weißen Hirsches. Sie war es selbst, die Große Mutter, die sich ihnen auf diese Weise zeigte. Warum sie es tat, konnten sie nicht einmal ahnen. Aber jede ihrer Reaktionen könnte dazu führen, dass der weiße Hirsch zur Zeit der Aussaat im Frühling sein Geweih nicht abwarf, was die Reifung aller Frucht verhindern würde. Sollte die Große Mutter Erde sie damit strafen, wäre es das Ende aller Lebewesen.
An eine Jagd an den Ufern der Igonta war selbstverständlich nicht mehr zu denken. Jeder hätte mit einem solchen Frevel ewiges Unglück über seine Sippe gebracht. Sie zogen sich von der Jagd hinter Büsche zurück und erzählten den vorbeikommenden Bauern von dem, was sie soeben erlebt hatten. Die Bauern nahmen ihre Amulette in die Hände und blieben wie angewurzelt stehen. Wohin hätten sie jetzt noch so ohne Weiteres gehen können? Vielleicht wartete im nächsten Wäldchen etwas Böses auf sie, das ihre Tiere unfruchtbar machen und auch sie selbst schädigen würde.
Dann bewegten sich die Blätter eines Baumes. Da es völlig windstill blieb, schauten die Männer entsetzt auf den Baum, dessen Äste und Blätter sich bewegten wie zur schönsten Sommerzeit. Büsche blühten und Vögel sangen, als wären die Sterne am Himmel eine köstliche Speise, die leicht zu fangen war wie ein Käfer. Unerwartet fegte ein Eiswind durch das Flusstal, der den Männern das Blut in den Adern gefrieren ließ und sie zogen sich tiefer in eine Erdmulde zurück, um sich gegenseitig zu wärmen. Sie nahmen es als eine Warnung der Großen Mutter wahr.
Sie schien von den Bergen her zu kommen und ritt auf einem kleinen weißen Pferd. Auf ihrem Kopf lag ein Schleier und sie trug einen erdfarbenen weiten Umhang. Die Männer
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