Das Mysterium Des Himmels
konnten die Augen nicht von ihrem Gesicht lassen, so schön war es. Ihre Haut war so weiß wie die des Hirsches und neben ihr lief eine weiße Kuh mit roten Ohren. Solche Tiere gab es nur im Feenland. Am Hals der gottgleichen Frau lag ein goldener Sonnenreifen und an ihren Kleidern prangten Sterne aus purem Silber. Über sie hinweg flog ein Schwarm Gänse und die Männer begannen zu zittern. Die Gänse brachten Nachrichten von den Göttern. Erst als die schöne Frau vorübergeritten war, kamen die Männer wieder aus ihrer Erdmulde hervor. Jeder von ihnen wischte sich über die Lider und das Gesicht, um dem Bösen zu entgehen.
»Sie war der weiße Hirsch und dann wurde sie zur gottgleichen Frau«, rief ein Bauer.
»Ein weißes Reh wird ihre Mutter gewesen sein«, fügte ein Jäger hinzu.
»Aber so bedenkt doch, die gottgleiche Frau hatte die Große Mutter Erde in Form der weißen Kuh bei sich. Was wird mit uns Unglücklichen passieren, die wir das gesehen haben«, weinte ein Bauer laut.
Als Amanda Iuvavum erreichte, wichen alle Menschen sogleich zur Seite aus. Man sah mit geweiteten Augen, dass sie ohne Zügel ritt und der Sattel, auf dem sie saß, aus Silber und Gold geschlagen war. Amanda ritt durch die Straßen und unmittelbar auf Ekuos zu, der neben einem Feuer stand, welches vor dem Haus entzündet worden war. Rosmertas Plan war gelungen. Als die ersten Gerüchte durch Hall schwirrten, man habe die wahre Palmira krank und verwundet in Boiodurum ausfindig gemacht, da war Rosmerta sofort in ihr Versteck in den verwunschenen Wald geeilt und hatte von dort die Kuh und das kleine Pferd mitgebracht. In diesem Versteck lebte eine Gruppe von Kräutermenschen und Heilern, die nur in Verbindung mit der Natur und dem Wechsel von Licht und Schatten ihre Rezepturen entwickeln konnten.
Ekuos hatte Amanda nur kurz angesehen. Sie hatte sich noch einmal verändert. Ihr wallendes Haar war nun weiß wie das Salz aus dem Land, aus dem sie geflüchtet war. Aber ihr Gesicht war so schön, dass er keinen Moment mehr an es denken durfte, ohne dass in ihm ein Beben geschah. Er ritt zu der Stelle, an der Matu stand und darauf achtete, dass niemand in die Nähe des Hauses geriet. Aber die Menschen dachten mit keinem Gedanken daran, dort hinüberzugehen.
»Sie denken, es ist Rosmerta, die im Feenwald einem Jungbrunnen entstiegen ist«, erzählte Matu.
Ekuos gab ihm keine Antwort.
In der Nacht stiegen Amanda und Ekuos in den Berg hinter dem Haus. Die Sterne erblühten auf einem mattschwarzen bis dunkelblauen Himmelsgewölbe und die große Mondin leuchtete gelbweiß und freundlich.
Sie suchten Steine, die vom nächtlichen Licht beschienen wurden und orientierten sich an einem kleinen Bach, der vom Berg hinabfloss und in der Nähe des Hafens in den Fluss mündete. Es war sehr kalt geworden und die schmächtigen Öllampen in ihren Händen wärmten kaum. Sie mussten sich vorsehen, denn sie konnten leicht auf den ersten Eisnestern ausrutschen und hinabstürzen.
Sie waren beide abrupt stehen geblieben. Was war dort oben? Da war nichts. Zwischen dem Bach und den Felsen schien sich ein großer Stein bewegt zu haben. Sollte der sich vom Berg lösen, würde er sie unweigerlich mit in die Tiefe reißen. Amanda versuchte, mit ihrem Lämpchen den Berg auszuleuchten, aber das musste mit ihrem bescheidenen Licht scheitern. War es der Gott des Berges, der sich dort befand und sie beobachtete?
»Wenn ich vom Berg springe, werde ich nie mehr zurückkommen. Wenn ich meine Arme ausbreite, wird mich ein Vogel retten und in das Tal tragen. Es wird so sein, dass ich am Tage des Sterbens und der Wiedergeburt der großen Sonne auf den Gipfel steige und ein Opfer bringen werde. Wir werden uns nun umwenden und dich verlassen.«
Ekuos hatte gesprochen und Amanda blieb dicht bei ihm stehen. Nichts geschah. Sie traten einige Schritte zurück, immer mit der Gefahr auszugleiten und abzustürzen. Aber sie durften dem Gott des Berges auf keinen Fall ihren Rücken zeigen. Wer kein Gesicht zeigt, der ist keine Person. Nur ein kopfloser Rumpf, wie ein geschlachtetes Tier. Dann bewegte sich der Stein. Er wuchs nach oben, erhob sich aus dem Felsen und aus ihm stieg ein Wesen heraus. Ekuos schloss in Erwartung seiner Endlichkeit die Augen. Amanda löschte ihr Licht aus.
»Hier ist Palmira«, sagte eine dünne Stimme. »Ich bin vom Schiff geflohen.«
Ekuos trat näher an sie heran und hob seine Öllampe hoch. Es war Palmira. Niemals würde er dieses Gesicht vergessen,
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