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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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geröstete Rebhuhnstreifen, und dazu einen guten Moselwein.«
    Man konnte ihn nicht übersehen. Er trug eine goldbestickte französische Schecke, ein Jaquette. Es lag eng am Körper an, dafür
     hingen von seinen Ärmeln lange Stoffbahnen herab, die mit Pelzwerk gefüttert waren. Die Beinlinge trug er in leuchtendem Rubinrot.
     Sie waren direkt am Wams angenestelt. An einem neuartigen Gürtel aus glänzenden Silberplatten, dem Dupsing, hing seine Ledertasche
     mit dem restlichen Geld. Auf die Heuke hatte er verzichtet und sich statt dessen einen Pelzmantel gekauft, der ihn wärmen
     würde, wenn schon der Rest der Kleidung unpraktisch und ausschließlich auf das noble Äußere hin ausgewählt war.
    Er mußte nur warten. Amiel wollte die Macht übernehmen in der Stadt. Da durfte er einen Mann wie ihn nicht unbeachtet lassen.
     Er würde herausfinden wollen, wer er war und warum er nach München gekommen war.
    Die Narbe an Nemos Oberarm pulsierte. Sein letzter großer Auftritt, dann würde er München verlassen. Würde ihm Gott einen
     neuen Anfang ermöglichen, in Frankreich, im Elternhaus? Oder hatte er sich das Lügen so sehr angewöhnt, daß er nie wieder
     davon ablassen konnte, und er blieb lebenslang ein Betrüger?
    Schon im Kleinkindalter hatte es begonnen mit seiner schwarzen Seele. Mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Erregung
     hatte er das Holzpferdchen eines Spielkameraden in den Kamin geworfen und zugeschaut, wie es verglühte. |269| Nur Tage später zerfetzte er die Puppe eines kleinen Mädchens und zertrat die Überreste, es tat ihm wohl, das der Puppe und
     dem Mädchen anzutun. Mit ihm hatte man es ja genauso gemacht! So dachte er damals.
    Dann das Stehlen, jahrelang, von Feldern, von Marktständen, aus Hinterhöfen. Die Prügeleien. Die lüsternen Gedanken. Die vielen
     Gottesdienste, die er geschwänzt hatte. Warum sollte Gott einem wie ihm helfen?
    Er hatte seine Gelegenheit gehabt. Die Brüder des Ordens vom Heiligen Geist hatten ihm christliche Liebe vorgelebt. Ein jeder
     von ihnen besaß nichts weiter außer der himmelblauen Kutte mit dem weißen zwölfspitzigen Doppelkreuz auf der Brust. »Die Armen
     sind unsere Herren«, hatten sie immer gesagt und sich um Kranke, Waisen, Irre und Pilger gekümmert, und um Findelkinder wie
     ihn. Nemo hatte erlebt, wie sie Tote bestatteten auf dem Friedhof des Ordens, er hatte die Mahnung der Begräbnisse verspürt:
     Das Leben ist eines Tages zu Ende, lebe weise! Die Brüder hatten ihn gelehrt, wie man betete, wie man Kirchenlieder sang.
     Er aber war mißtrauisch geblieben.
    Hatte er nicht recht behalten damit? Der Meister hatte geheimnisvolle Männer empfangen, immer wieder. Und dann waren die Chorherren
     verschwunden. Jede Woche fehlte ein weiterer. Einen fand man, aufgedunsen, in der Isar. Ein anderer lag zerschmettert vor
     dem Turm der Frauenkirche. Manche tauchten nie wieder auf. Als eines Tages der Meister nicht zum Konventamt in den Krankensaal
     kam, wartete Nemo nicht länger. Er verließ das Spital der Taubenbrüder und tauchte unter. Irgendwann wären sie auch ihm nachgekommen,
     wer auch immer den Orden vom Heiligen Geist vernichtete, er würde gründlich sein. Er aber wollte nicht mit dem Leben bezahlen
     für die Sünden des Ordensmeisters.
    Anderthalb Monate nach Nemos Flucht war der Orden verschwunden. Er war einfach nicht mehr da, die Chorherren verschollen oder
     tot, die Laienpfleger, Schwestern und Oblaten in alle Winde zerstreut. Die Stadt eröffnete ein eigenes |270| Spital, um den Orden zu ersetzen. Eine Weile rätselten die Münchner und sprachen hinter vorgehaltener Hand von einem Fluch.
     Dann kehrten sie zum Tagesgeschäft zurück. Nemo wußte, daß der Fluch immer noch auf ihm lastete. Wer auch immer den Orden
     zerstört hatte, würde nicht ruhen, bis der Letzte der Brüder ausgemerzt war. Er war doch gezwungen gewesen, in eine fremde
     Haut zu schlüpfen! Und wovon sollte er leben? Sich zu verwandeln, andere zu täuschen, das war nun einmal die Fähigkeit, die
     er besaß.
    »Dürfen wir uns zu Euch setzen?«
    Nemo schreckte aus seinen Gedanken hoch. Drei junge Damen standen vor seinem Tisch und lächelten. Was schauten sie ihn so
     an? Richtig, er war ein reicher französischer Ritter. Er sagte: »Sicher, gern.«
    Die Frauen setzten sich. Die jüngste von ihnen trug Wangenrot und hatte offenbar ihre Augenbrauen geschwärzt. Es stand ihr
     gut. Sie lächelte und sagte: »Das sind meine Cousinen Dorothea und

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