Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Kammermädchen, um eine Audienz bitten, weil ich nachts nicht schlafen kann?
     Das ist lachhaft.«
    »Hast du es denn versucht? Hast du gefragt und bist abgewiesen worden?«
    Sie schwieg.
    »Bevor du dich in den Tod stürzt, Mädchen, ich finde, bevor du das tust, solltest du alles versuchen.«
    Innerlich wand sie sich. Es war alles entschieden, sie war auf der Flucht, sie wollte doch längst fort sein! Aber die Mutter |263| hatte recht. Sie gab ihr Leben auf, ohne das letzte versucht zu haben. »Du hast recht, Mutter«, sagte sie. War es nicht auch
     des Kaisers Sache, wenn jemand in seiner Stadt mordete? Wenn jemand sich Zugang zum Kaiserhof verschaffte und eine Frau bedrohte,
     geradewegs unter den Augen des Kaisers?
    Neben der Truhe saß die Katze auf einem Lumpenberg. Ihre Jungen tapsten um sie herum. Sie drehten sich und versuchten, ihre
     eigene Schwanzspitze zu fangen. Sie drückten den Bauch des Muttertiers mit den Pfoten, um sie zum Spiel herauszufordern. Die
     Mutter blinzelte nur. Leise maunzten die Katzenkinder.
    Adeline zog die Handschuhe wieder an. Konnte sie einen Weg finden, zu Ludwig vorzudringen? Würde der Kaiser ihr zuhören? Sie
     preßte die Lippen aufeinander. War sie überhaupt stark genug, um noch weiter zu kämpfen?
    »Du gehst?« fragte die Mutter. »Wohin?«
    Sie sagte: »Zum Kaiser.« Sie stand auf.
    Die Mutter lächelte und tätschelte ihr den Arm. »Das ist mein Mädchen.«
    Adeline umarmte sie noch einmal, kurz, schüchtern. Sie hatten das sonst nie gemacht. Dann ging sie hinaus. Kälte empfing sie.
     Obwohl es erst früher Nachmittag war, herrschte Dämmerlicht. Es schneite seit Tagen. Schneeflocken setzten sich auf Adelines
     Gesicht, auf ihre Hände, ihren blauen Mantel. Sie stapfte los. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, schmutziger Stadtschnee,
     auf den sich reiner weißer Neuschnee setzte.
    Nach wenigen Schritten blieb sie stehen. Diesmal mußte sie Nemo warnen. Sollte der Kaiser ihr tatsächlich zuhören und Amiel
     in seiner Faust zerquetschen, dann durfte nicht wieder Nemo darunter leiden. Sie hatten sich seit dem Gerichtsverfahren nicht
     wiedergesehen, er war mit Sicherheit wütend auf sie. Sie würde ihn nicht erneut ans Messer liefern.
    Aber zum Goldschmiedehaus zu gehen, geradewegs zu Amiel? Auch wenn es Tag war, dem Boshaften durfte sie nicht unter die Augen
     treten, er war unberechenbar. Sie sah sich nach Kindern um. Beim Hof der »Goldgrübler« lieferten sich einige |264| Mädchen eine Schneeballschlacht. Ihre Väter leerten gegen Lohn in der ganzen Stadt die Senkgruben aus, seltsamerweise bekamen
     die »Goldgrübler«, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allesamt Mädchen. Schon in Adelines Kindertagen war das so gewesen. Ein
     Junge stand bei den Mädchen und sah zu, wie sie sich mit Schneebatzen bewarfen. Als Junge hatte man bei den Goldgrüblermädchen
     nicht viel zu sagen. Adeline sprach ihn an. »Tust du mir einen Gefallen? Wenn du einen Dienst für mich erledigst, zeige ich
     dir die Löwen im Kaiserhof.«
    Er sah sie lange an. Dann sagte er: »Da darf doch keiner rein.«
    »Doch, ich arbeite dort als Kammermädchen, ich kann dich hineinbringen.«
    »Und ich sehe die Löwen?«
    »Ja.«
    »Was muß ich machen?«
    »Du läufst zum Goldschmied in die Leimgasse und sagst, du hast eine Botschaft für Nemo. Kannst du dir das merken?«
    »Leimgasse, Nemo«, sagte er.
    »Nemo ist der Diener von Amiel. Du sagst diesem Diener, daß er sofort hierherkommen soll. Es ist wichtig.«
    Der Junge machte ein ernstes Gesicht. »Leimgasse. Nemo. Herkommen.« Dann kehrte er auf der Ferse um und rannte los.
    Zwei Mädchen kamen neugierig heran. Ihre Haare waren wirr wie Krähennester, und am Flickenkleid hingen Schneereste. »Was hast
     du unserem Bruder aufgetragen?« fragte die eine.
    Die andere zog die Nase hoch. »Und was kriegt er dafür?«
    »Ich zeige ihm die Löwen«, sagte Adeline.
    Die Augen der Mädchen wurden groß. »Dürfen wir die auch sehen? Wir sind älter als er! Es ist ungerecht, wenn er schon die
     Löwen sieht und wir nicht. Er ist erst fünf!«
    Die anderen Kinder kamen ebenfalls heran. »Löwen?« fragten sie. »Was ist mit Löwen?«
    Es war gut. Solange sie von den Kindern umringt war, konnte ihr niemand gefährlich werden. Die »Goldgrübler« |265| würden ihre Schar unnachgiebig verteidigen. Sie war sich sicher, daß längst einige Augenpaare sie durch die Fenster beobachteten.
     »Ich kann nur einen reinlassen. Sonst bekomme ich Ärger. Aber wenn

Weitere Kostenlose Bücher