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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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seine letzte Nacht.
    Ein Sausen in seinen Ohren. Er schluckte. Er war nicht bereit zu sterben! Er mußte leben! Das konnte doch nicht das vorgesehene
     Ende für ihn sein. Er war nicht bereit, in dieser Nacht sein Leben auszuhauchen!
    Es ging in die Senke am Kaltenbach hinab. Die Peiniger überquerten mit ihm die Brücke. Das Haus der Bäckerbruderschaft stand
     da im Sternenlicht, stumm, schlafend. Deutlich sah er das Wappen der Bruderschaft, die Brezel und den Königsadler. Seit Ludwig
     den Bäckern das Haus geschenkt hatte, trugen sie ihn im Wappen. Sie hatten das Haus und das Wappen als Lohn für die Schlacht
     von Ampfing erhalten, in der die bewaffneten Bäckergesellen dem König das Leben gerettet hatten.
    Er, Vizenz, war damals als Geistlicher mit zu Felde gezogen. Ludwig war noch nicht exkommuniziert gewesen. Er zog mit einem
     großen Aufgebot aus den Städten des Landes gegen Friedrich den Schönen. Auch die Münchner Bürger zogen für ihren König in
     den Krieg. Ludwig war bankrott, das wußten nicht viele, er aber, Vizenz, wußte es vom Beichtvater des Königs, daß Ludwig nur
     noch elf Pfund Haller Pfennige in der Kriegskasse hatte. Er mußte die entscheidende Schlacht führen, länger konnte er sein
     Heer nicht zusammenhalten, die schweren Reiter, eintausendachthundert Ritter und Edelknechte, und die viertausend Kämpfer
     zu Fuß nebst Bogenschützen.
    Es war ihm damals so erschienen, als könne er nicht sterben. Er wußte, Gott war mit ihm. Auch als ihnen die vier Heerhaufen
     der Österreicher gegenüberstanden, war er ruhig geblieben. Gelassen musterte er sie. Die Steirer unter dem Befehl der Herren
     Ulrich und Heinrich von Walsee. Den Heerhaufen des feindlichen Königs, vom Gegenkönig daselbst angeführt, die rot-goldene
     Sturmfahne des Reiches in den Händen des elsässischen Herrn von Geroldseck. Die Rotte von |276| Friedrichs Bruder Heinrich unter dem Banner Österreichs. Die vierte Rotte, bestehend aus den Rittern und Edelknechten des
     Erzbischofs von Salzburg.
    Über eintausend Menschen starben auf dem Schlachtfeld. Daß es ihn, Vizenz, nicht getroffen hatte, war ihm selbstverständlich
     erschienen. Andere starben, ja. Hätte man ihn gestern nach dem Tod gefragt, er hätte gesagt, daß er das Sterben für eine von
     Gott gesetzte, dem Lauf der Dinge entsprechende Sache hielt. Er hätte gesagt, daß er sich nicht vor seinem Tod fürchtete,
     schließlich bestimme Gott Tag und Stunde, und er wisse, daß der Herr es recht machen werde.
    So allerdings fühlte es sich nicht an. Es fühlte sich falsch an. Es war falsch, wenn er in dieser Nacht starb. Furchterregend
     falsch. Er war nicht bereit. Alles, worauf er hoffen konnte, war der Moment, wenn sie ihm den Knebel abnahmen. Er würde nicht
     viel sagen können, es würde kaum Zeit sein. Jedes Wort mußte dann stimmen, wenn es ihn retten sollte.
     
    Der Inquisitor! Ein fahler Geschmack breitete sich in Nemos Mund aus. Sie verschleppten den Inquisitor. Die Männer trugen
     dieselben merkwürdigen Kutten, also gehörten sie zu Amiel. Wie konnte er so etwas wagen? Wer war vor ihm sicher, wenn er selbst
     davor nicht zurückschreckte, den städtischen Inquisitor zu verschleppen? Er spürte eine unangenehme Enge in der Brust.
    Er durfte sich nichts anmerken lassen. Jeder Fehler konnte zum Verhängnis werden, jede falsche Geste, jedes falsche Wort.
     Zumal einer der vier Männer, die ihn abholten, ihn womöglich erkennen konnte. Es war Bartholomäus, der Mann mit den langen
     Wimpern und dem weichen, frauenhaften Gesicht. War es nicht besser, einfach zu verschwinden, dann eben ohne das Pergament,
     ohne Spur zu den Eltern, solange er das nackte Leben rettete?
    Mit den Schuhen hatte er übertrieben. Er trug nicht zum erstenmal Schnabelschuhe, als Heinrich von Niedelschütz |277| und als Hans Schwilwatz von Schwilwazenhausen hatte er sich darin bereits geübt. Diesmal aber waren sie so lang, daß er ständig
     drohte, über ihre Spitzen zu fallen. Er mußte den Eindruck eines überaus wohlhabenden und einflußreichen Adligen erwecken,
     und es galt die Regel: Je länger die Schnabelschuhe, desto einflußreicher ihr Träger. Für längere Wege über frischen Schnee
     waren solche Schuhe allerdings nicht gedacht. Dazu das enge Jaquette, das unter den Achseln kniff. »Hättet Ihr nicht sagen
     können, daß es ein weiter Weg ist? Ich hätte das Pferd aus dem Stall geholt!«
    »Verzeiht, Herr.«
    Sie wahrten den Schein. Das war alles. Sie taten

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