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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Guten und seiner moralischen
     Tiefe! Ich habe nie Klügeres gehört.«
    »Es sind nicht alles meine eigenen Gedanken. In dieser Frage habe ich viel von Duns Scotus gelernt. Er hat mir beigebracht,
     daß es einen Unterschied gibt zwischen der ontologischen Güte einer Handlung und ihrer moralischen Güte. Wenn ich einem Bettler
     ein Almosen gebe, kann das ontologisch gut sein – es ist aber nicht notwendig auch moralisch gut. Denn wenn ich es tue, um
     dabei von einer Frau gesehen |295| zu werden, die ich über meinen Geiz hinwegtäuschen will, dann ist es keine moralische Handlung.«
    »Verfolgen wir nicht mit allem, was wir tun, ein Ziel? Ich meine, gibt es eine Güte ohne Hintergedanken?«
    »Die Vernunft geht immer mit sich zu Rate, durch welches Mittel sie ihr Ziel am besten erreichen kann. Aber, wie Aristoteles
     sagte: Gerecht ist, wer gerechte Werke auf gerechte Weise tut.«
    »Eure Briefe und Abhandlungen, schreibt Ihr sie nicht auch mit ein wenig Stolz? Bitte verzeiht, daß ich mich erdreiste, so
     etwas zu fragen. Aber wünscht Ihr nicht auch, recht zu behalten?«
    Er warf einen raschen Blick auf sie. Nie hätte er geglaubt, daß dieser Spaziergang ihm derartiges Vergnügen bereiten würde.
     Gräfin Giselberga war eine kluge Frau. »Ich muß gestehen, daß ich mitunter Stolz empfinde, wenn ich eine Schrift abschließe.
     Und wenn ich gewisse Erkenntnisse verteidige, kämpfe ich nicht nur für die Sache, sondern auch für mich. Ihr habt also recht.
     Ich hoffe jedoch, daß die moralische Güte meines Handelns überwiegt.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    »Darf ich Euch meine Fäustlinge anbieten? Sie sind bedeutend wärmer als Eure dünnen Handschuhe, und es ist kalt.«
    »Wenn es Euch Freude bereitet. Das ist doch Euer wahres Ziel!«
    Sie lachten.
    Er zog die Fäustlinge aus und reichte sie ihr. Dann hockte er sich nieder und griff etwas Schnee. Er stand auf, formte dabei
     den Schnee zu einem Ball. Er schleuderte ihn gegen einen Baum. Der Ball zerplatzte an der Rinde. Die Hälfte des Schnees blieb
     kleben. »Dort hinten befinden sich meine Bienenkörbe, mögt Ihr sie sehen?«
    »Gern.«
    Er führte sie hinunter vom Weg. Der Schnee reichte hier bis zu seinen Knien. Giselberga mußte ebenfalls in großen Schritten
     durch den Schnee steigen. Es gefiel ihm, die Hofdame |296| der wilden Natur auszusetzen. »Ihr werdet nasse Füße bekommen«, sagte er.
    »Es wäre nicht das erste Mal.«
    Es sah entzückend aus, wie ungelenk sie sich voranbewegte.
    Kurz bevor sie die Bienenkörbe erreichten, sah er die Löcher. »Nein! Nein!« Er hastete voran, blieb bei den Körben stehen.
     »Ausgerechnet das stärkste Volk!«
    »Was meint Ihr?«
    »Da, seht Ihr die Löcher? Ein Specht hat die Bienenbeute aufgehackt und die winterträgen Bienen gefressen.«
    »Allesamt?«
    »Sicher nicht, aber das Volk ist geschwächt. Es lohnt nicht mehr, die Löcher zu stopfen.«
    »Also laßt Ihr die überlebenden Bienen sterben?«
    »Ich weiß nicht, ob überhaupt noch welche am Leben sind.«
    »Das tut mir leid.« Die Gräfin ließ die Fäustlinge sinken. »Es muß ein harter Verlust sein.«
    »Ein trauriger, ja.«
    »Aber seht einmal, die Eiszapfen an jenem Baum. Sind sie nicht wunderschön? Sie sehen aus wie bestes italienisches Glas.«
    Er sah hin. »Tatsächlich, sie –« Er stockte. Etwas stimmte nicht mit dem Eis am Baum. Eine Hand war darin gefangen. Voller
     Grauen starrte er darauf. Er näherte sich vorsichtig. Der Wald erschien ihm auf einmal wie tot. Still war es, nur der Schnee
     knarrte unter seinen Sohlen.
    Er ging um den Baum herum. Eine Eissäule war mit der Rinde verschmolzen, und in der glänzenden Säule steckte ein Mensch. Der
     Mensch war unbekleidet. Seine Finger, Zehen und die Nase waren blaurot verfärbt, die Nasenspitze schwarz. Grell stach davon
     die weiße Haut des restlichen Körpers ab. William meinte, den Mann zu kennen. Die Augen des Toten waren nur halb geschlossen,
     fast wirkte es, als sehe er William ins Gesicht.
    |297| Vizenz Paulstorffer. Es war der Inquisitor. Kein Zweifel. Vizenz Paulstorffer war auf bestialische Weise ermordet worden.
     »Ad Deum«, hatte er sich nach ihrem Gespräch verabschiedet. Er hatte ihn, den Gebannten, eines ehrlichen Gesprächs für würdig
     erachtet. »Ad Deum«, zu Gott hin, mit Gott, das hatte er zum Abschied gesagt.
    William stiegen Tränen in die Augen. Seine eigenen Worte hallten ihm in den Ohren. »Es geht mir nicht um Amiel. Ich betrachte
     lediglich

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