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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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den Prozeß machen kann. Er ist wie eine Natter, und eine große Zahl Eurer Untertanen
     trägt bereits sein Bißmal. Das Volk ist vergiftet. Es genügt nicht, die Natter zu zertreten.«
    »Zumindest wäre es ein Anfang. Ich lasse gleich meine Leibwache rufen. Sie werden ihn festsetzen und dem städtischen Henker
     übergeben. Der wird ihn aufs Rad flechten.«
    »Das würde ihn zum Märtyrer machen.« William kehrte zurück zur Ankleidebank, auf deren Rand der Kaiser saß, im Unterhemd und
     stoppelbärtig. »Es gäbe einen Aufruhr in der Stadt!«
    Der Kaiser winkte ab. »Den Aufruhr kann ich niederschlagen.«
    »Denkt an die Verluste, auch für Euer Ansehen. Es ist wie mit verschimmeltem Brot: Schneidet man den Schimmel ab, ist es doch
     vergiftet, unsichtbar. Amiels Pilzfäden ziehen sich bereits durch die gesamte Stadtbevölkerung, vom Ratsherren bis zum Schuhflicker.«
    »Natter, Schimmel – ich bitte Euch, William! Ich habe bis heute nichts von diesem Mann gehört. Ihr übertreibt. Was glaubt
     Ihr, wie oft ich es mit Männern zu tun habe, die meinen, sie könnten das Reich besser regieren als ich? Und hier geht es nur
     um diese Stadt.«
    Ein Diener öffnete die Tür. »Euer Leibarzt, Majestät.« Hinter ihm trat Doktor Marsiglio Raimondini ins Gemach. Er trug auf
     einem Tablett einen mit Smaragden und Rubinen besetzten Silberbecher. Er, der Rektor der Sorbonne gewesen |310| war und Medizin, Recht und Theologie beherrschte wie ein Spiel, hielt angespannt den Blick auf den Becher. »Euer Trank gegen
     Vergiftungen«, sagte Marsiglio und verneigte sich, wobei er das Tablett gleichzeitig vor dem Kaiser in die Höhe hob.
    Ludwig nahm den Becher und trank ihn in einem Zug leer. Er schüttelte sich. »Abscheulich. Aber es wirkt Wunder, nicht wahr?«
    Marsiglio verbeugte sich erneut, während Ludwig den leeren Becher wieder auf das Tablett stellte. »So ist es, Majestät.«
    »Ich brauche Euren Rat.« Der Kaiser zog sich einen goldenen Ring vom Finger, steckte ihn wieder an, drehte ihn. »Wil liam Ockham war so freundlich, mich auf eine Verschwörung in der Stadt hinzuweisen. Aber er hält es für einen Fehler, mit Härte
     vorzugehen. Kopf der Verschwörer ist ein Ketzer aus Frankreich. Er steckt vermutlich hinter dem Mord an Inquisitor Paulstorffer.«
    »Welchen Grund gibt es zu zögern? Bestraft ihn mit Härte.«
    William löste sich vom Fenster. »Marsiglio«, sagte er, »es handelt sich um einen Perfectus. Und er hat schon einen guten Teil
     der Bevölkerung für die Lehren der Reinen gewonnen.«
    »Die Reinen, in München?« Der Leibarzt ließ das Tablett sinken. »Seid Ihr sicher?«
    William wendete sich wieder dem Kaiser zu. »Majestät, es geht nicht nur um diese Stadt. Die Reinen haben in Frankreich Anfang
     des Jahrhunderts einen wahren Flächenbrand ausgelöst, als man schon dachte, man habe sie ausgelöscht. Sie schätzen nicht das
     Leben, und darum fürchten sie nicht den Tod. Ihr meint, Ihr könnt Amiel mit dem Rad schrecken? Die Anhänger der Reinen hungern
     sich freiwillig zu Tode! Sie nennen das die
Endura
. Ein langsames, qualvolles Dahinsterben über zwölf oder mehr Tage.«
    Ludwig zog die Stirn in Falten. »Wie kann so etwas dem Volk gefallen? Seit wann ist es versessen auf das Sterben?«
    |311| »Ich erwähne das nur, um Euch zu zeigen, mit wieviel Überzeugung sie für den Perfectus einstehen werden. Daß der Glaube der
     Reinen anziehend ist, leuchtet ein. Nach dem, was Christus uns lehrte, leben wir aus Gottes Gnade. Er gibt uns die Ewigkeit
     nicht für unsere Verdienste, sondern er schenkt sie uns, weil er uns liebt. Um das Geschenk möglich zu machen, starb Christus
     stellvertretend für unsere Schuld vor den Welten. Er hat uns freigekauft, so könnte man es nennen. Aber wir wollen nicht freigekauft
     werden! Wir wollen es selbst schaffen. Das lehren die Reinen: Daß wir es schaffen können, schaffen müssen. Sie behaupten,
     sich den Himmel durch ein Leben nach strengen Regeln verdienen zu können.«
    »Jeder wird sehen, daß sie nicht perfekt sind«, sagte Ludwig.
    »Nicht unbedingt. Im Vergleich mit einigen Priestern der katholischen Kirche wirken die Reinen ziemlich überzeugend.«
    Der Kaiser seufzte. »Also, was schlagt Ihr vor?«
    »Ich fordere ihn heraus. Lehnt er ab, verliert er Ansehen im Volk. Nimmt er an, muß ich ihn öffentlich besiegen. Wir müssen
     die Herzen der Münchner zurückgewinnen, indem wir ihnen zeigen, wer Amiel von Ax wirklich ist.«
     
    Nemo lief über

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