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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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ein weiteres Mal gelingen.« Amiel steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn
     um. Das Schloß sprang auf. Er öffnete die Tür. »Nach dir.«
    Nemo trat in den Weinkeller. Die Kerze beleuchtete große Fässer und ein gemauertes Gewölbe, die Decke setzte dicht über seinem
     Kopf an. Feuchtigkeit stand in der kühlen Luft. Adeline sah er nicht. Hatte sie sich zwischen den Fässern versteckt? Sie mußte
     furchtbare Angst haben vor Amiel. All die Zeit hatte sie sich davor gefürchtet, ihm in die Hände zu fallen. Was hatte sie
     hier durchzustehen! Er drehte sich um und sagte: »Sie ist hier drin?«
    »Ja.«
    »Bitte laßt uns einen Moment allein.«
     
    Gewalt lag in Nemos Bitte. Adeline bevorzugte den Streuner, sie wollte nur ihn sehen, Nemo wußte das und forderte Stille für
     sie und sich. Ein Dritter hatte nichts dabei zu suchen, wenn sich die Liebenden begrüßten. Es versetzte Amiel einen Stich.
     Aber er verließ den Keller und schloß die Tür.
    Was redeten sie da drin? fragte er sich auf der dunklen Treppe. Klagte Adeline Nemo ihr Leid? Verbündeten sie sich gegen ihn?
     Es war verständlich, daß sie Nemo wählte. Er war gekommen, sie zu retten. Was sollte diese Pein in seiner Brust? Hatte er
     nicht gelernt, daß Liebe immer in Trümmern endete? Begriff er nicht endlich, daß sie Leiden bedeutete, nichts als fortwährendes
     Leiden?
    Er sah Josephine vor sich, als sei es gestern gewesen. Wie sie den Kopf zurückwarf und lachte, wie sie spielerisch nach ihm
     schlug. Er konnte spüren, wie sie ihm die Arme um den Hals legte und ihn küßte. Er konnte ihre zarte Hand fühlen beim Tanz
     und roch den Duft ihrer Haare. Mit ihr zusammen |373| zu sein, es hatte ihm gut getan bis auf den Grund seiner Seele, es hatte ihn zutiefst beglückt. Sie wog seinen Ernst auf durch
     ihre Ungezwungenheit. Er hatte gelernt zu feiern, zu tanzen, zu lachen. Er hatte neue Seiten an sich entdeckt, und ihm hatte
     der neue Amiel gefallen. Er hatte sie geliebt. Oh, er hatte sie geliebt.
    War es nicht ein Wintertag gewesen wie dieser, als sie ihn fallenließ? Grau und kalt war es gewesen, er war durch die Straßen
     gewandert und hatte versucht, die Angst niederzuringen, die in ihm aufstieg: Warum war sie nicht zu Hause? Was, wenn sie irgendwo
     tanzte, ohne ihn?
    Dann sah er sie, im Arm des Frauenschwarms der Universität. Es stahl ihm den Atem, als hätte man ihm mit einer Eisenstange
     auf den Hals geschlagen. Sie gehen nur spazieren! sagte er sich. Da ist nichts! Aber warum lachte sie, warum warf sie den
     Kopf zurück dabei und strich sich durchs Haar, warum legte sie die Hände um seinen Hals, so, wie sie es immer bei ihm tat,
     und küßte ihn?
    Er bog in eine Gasse ab, wollte um jeden Preis verhindern, daß sie ihn sah. Ihm war heiß, als stehe er in Flammen. Er hatte
     an diese Liebe geglaubt. Aus Angst, ihr langweilig zu werden, hatte er sich angestrengt, hatte für sie Südfrüchte aus fernen
     Ländern beschafft, hatte sich von einem Studienfreund das Tanzen beibringen lassen und war mit ihr feiern gegangen. Er hatte
     einen Sackpfeifer beauftragt, ihr ein Überraschungsständchen zu spielen. Aber er war nicht gut genug für sie, sie konnte Besseres
     haben, sie angelte sich den Brabanter.
    Er wartete einen Tag, zwei Tage, hoffte, daß sie zu ihm kommen und ihn um Verzeihung bitten würde, daß sie ihm alles beichtete.
     Wenn sie es von sich aus erzählte, würde er ihr vergeben, das nahm er sich vor, er würde ihr dann wieder gut sein und alles
     vergessen. Diese Schmerzen war sie ihm wert. Sie würde jetzt erst merken, wie sehr er sie liebte. Er vernachlässigte die Studien,
     schlief nicht mehr, lief nur in seiner Kammer auf und ab und dachte an Josephine.
    Sie kam nicht. Er machte lange Spaziergänge durch die |374| nächtlichen Straßen, fand keine Ruhe, war so zerrissen, zerfetzt. Er wollte alles zerstören, zertreten, wollte den Himmel
     anschreien, und doch schwieg er stumpf und peinigte seine Seele.
    Nach einem dieser Spaziergänge fand er bei seiner Heimkehr einen Brief vor der Tür. Er hob ihn sich dicht vor die Augen, um
     ihn im Sternenlicht zu betrachten.
Amiel
, stand darauf. Ihre Handschrift. Das Herz jagte ihm in die Kehle herauf, pochte, pulste. Sie war hier bei ihm gewesen? Nach
     Mitternacht? Warum war er nicht daheim gewesen!
    Zitternd schloß er auf, betrat die Kammer, machte Licht. Er konnte sich nicht setzen. Im Stehen faltete er den Brief auf und
     las.
    Lieber, ich bin nicht gut genug

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