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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Hund liebte seine Aufgabe, er dachte gar nicht daran,
     zu den Schlachtbänken zu laufen oder einer Katze nachzusetzen.
    Die Bracke kam schwanzwedelnd heran und rührte mit ihrer kühlen, feuchten Nase an Nemos Hand. Er öffnete den Lederbeutel und
     zog das blaue Stück Stoff heraus. »Kennst du das?« Er hielt es dem Hund hin. Der schnupperte daran und blickte Nemo an, die
     Brauen leicht erhoben. »Such«, sagte Nemo.
    Knochen reagierte nicht. Er öffnete das Maul und streckte die Zunge heraus, dann schloß er das Maul wieder. Dachte der Hund,
     daß es zwecklos war, daß sie die Stadt schon zu oft durchstreift hatten? Wußte er, daß Adeline nirgendwo in der Nähe war?
    »Nur noch heute nacht, Knochen«, sagte Nemo. »Noch einmal. Ich muß mich verabschieden, verstehst du?«
    Der Hund stieß einen Winselton aus. Nemo hielt ihm erneut den Stoffstreifen hin. »Such«, sagte er. Da zog die Bracke zur Seite,
     fiel in ihren federnden Schritt. Die Nase hing über dem Boden, der Kopf wandte sich nach rechts, nach links. So ging es am
     Wassergraben des Kaiserhofs entlang.
    Es war eine frostige, sternenklare Nacht. Der Vollmond stand am Himmel wie eine kleine Sonne. Wenn er verblaßt war, würde
     Nemo aus Unseres Herrn Tor hinausreiten und München für immer den Rücken kehren. Er legte keinen Wert darauf, verbrannt zu
     werden wie Bartholomäus. Adeline war verloren, sie war fort, er hatte einen ganzen Monat alle Verstecke |412| der Stadt nach ihr abgesucht, sie war nicht in den Gartenlauben, nicht unter den Brücken, nicht in den Hütten der Tagelöhner
     versteckt, vermutlich war sie tot, oder vom Perfectus in eine ferne Stadt verschleppt.
    Warum suche ich noch einmal, fragte er sich, wenn ich doch weiß, daß ich sie nicht finden werde? Es war ein letzter Versuch,
     um mit der Hoffnung abzuschließen. William Ockham hatte ihn umarmt und anschließend einen Segen über ihn gesprochen. Die Suche
     nach Adeline war der Abschied, den er von ihr nahm.
    In der neuen Stadt würde er keine Masken mehr aufsetzen. Er würde so lange Gelegenheitsarbeiten verrichten, bis er beim Rat
     der Stadt die Gebühr zahlen konnte, die für eine Aufnahme als Vollbürger Voraussetzung war. Dann würde er ein Handelsgeschäft
     aufbauen. Er würde eine brave Frau heiraten. Natürlich würde er sie nicht lieben wie Adeline, aber sie würde es gut haben
     bei ihm und würde im Gegenzug für ihn sorgen. Sie würden Kinder zeugen. Seine Söhne würden einmal von Geburt an Bürger sein,
     ohne Blut und Schweiß dafür opfern zu müssen. Sie würden sich niemals verstellen, nie eine Maske aufsetzen und ihren Namen
     verleugnen. Er würde sie zur Schule schicken, das Schulgeld würde er bezahlen und eine Familienleibrente einrichten, für den
     Fall, daß er und sein Weib starben. Die Kinder würden versorgt sein, sie würden sich geborgen und sicher fühlen. Sie würden
     wissen, woher sie kamen.
    Zwei Frauen kamen ihm entgegen. Sie sprachen nicht. Schweigend gingen sie an ihm vorüber. Er drehte sich um, sah, daß sie
     sich ebenfalls nach ihm umdrehten. Ihr Blick barg ein Geheimnis. Indem sie nichts sagten, hüteten sie es, verhinderten, daß
     man ihnen ein Wort ablauschte.
    Knochen bog in die Enggasse ein. Hier hatten die Tuchmacher und Gewandschneider ihre Geschäfte. Das Mondlicht schimmerte auf
     dem Schnee, der vor den Häusern zusammengekehrt war. Nur in der Mitte der Gasse war eine Schneise frei. Vor jedem Eingang
     war der Schneeberg durchbrochen, Gänge für die Kunden.
    |413| Die Stadt war leer ohne Adeline, sie hatte ihr Herz verloren. München, das ihm immer Heimat bedeutet hatte, war ihm nun gleichgültig.
     Er trat nach dem Schnee. Weiß spritzte es auf. Knochen blieb stehen, hob den Kopf. »Such«, sagte Nemo. Der Hund schüttelte
     sich. Er senkte die Schnauze zu den Schneebrocken hin, die vor ihm niedergefallen waren, und beschnüffelte sie. »Du weißt
     es, oder? Sie ist weg.«
    Da standen sie, einsam. Nemo dachte an den Kuß im Heuschober. Adelines Lippen zu spüren, ihren warmen Körper – es war wie
     ein Donner in sein Innerstes gefahren. Er sah ihr Gesicht vor sich, die hohe, kindliche Stirn, das blonde Haar. Sie war seine
     Prinzessin gewesen, für sie hätte er alles getan, alles. Die Vorstellung, sie nie wiederzusehen, schlimmer noch, schuld daran
     zu sein, schnürte ihm den Hals zu. Der Perfectus hatte ihr das Kleid zerrissen. Er hatte ihr Gewalt angetan. Nemo hätte sie
     aus seinen Händen retten müssen. Er

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